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Alexander Dobrindt (CSU), Andrea Nahles (SPD), Hermann Gröhe (CDU)

© dpa

Koalitionsverhandlungen: Wie wollen sich CDU und SPD einigen?

Das Klima war gut, sagen Union und SPD über den Auftakt ihrer Koalitionsgespräche. Aber zu einer Koalition ist es ein weiter Weg.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Der Auftakt ist kurz und beginnt mit einem kumpelhaften Klaps. Als Sigmar Gabriel am Mittwochmittag ins Konrad-Adenauer-Haus kommt, empfängt ihn Hermann Gröhe schon draußen vor der Tür. Ein paar nette Worte, dann nimmt der CDU-Generalsekretär den SPD-Vorsitzenden freundschaftlich bei der Schulter, und die beiden verschwinden in der CDU-Zentrale.

Wie war die Stimmung in den Gesprächen?

„Wir haben uns als Erstes alle mal umarmt“, behauptet CSU-General Alexander Dobrindt sogar, als die Generalsekretäre über das 90-Minuten-Treffen berichten. „Das war sehr hilfreich.“

Das stimmt im Wortsinne nicht – aber einen allgemeinen Handschlag hat es gegeben. Dass die Verhandlungen zur zweiten großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel sich weiter als Selbsterfahrungsgruppe gestalten, ist zwar unwahrscheinlich. Doch selbst wenn Gröhes SPD-Kollegin Andrea Nahles „eine gewisse Grundspannung“ auf dem Weg in das Gebäude zu verspüren vermeint, das für sie als Wahlkampfleiterin vor vier Wochen noch die Zentrale des Bösen darstellte – von der Anspannung der schwarz-roten Verhandlungen vor acht Jahren ist das Gesprächsklima weit entfernt. Damals sprach die SPD der Union wochenlang den Wahlsieg ab, bevor sie Merkel als Kanzlerin akzeptierte. Diesmal zeigt schon Peer Steinbrücks Miesepeter-Miene, dass die Ausgangslage klar ist.

Drinnen haben Gabriel, Merkel und Seehofer noch einmal das Gemeinsame hervorgehoben und daran erinnert, wie vertrauensvoll man sich in den Sondierungsgesprächen nahegekommen sei. Gabriel bekräftigte sogar extra, dass er eine Regierung auf volle vier Jahre anstrebe – was die Unionsseite gerne hörte, zählte doch die Sorge vor einem gezielten Bündnisbruch mit anschließendem rot-rot-grünen Putsch dort lange zu den Vorbehalten gegen eine große Koalition.

Wie laufen die Verhandlungen ab?

Grob strukturieren sich die Gespräche in vier Kreise. Die „große Runde“ hat 75 Mitglieder. Dort sollen die übergreifenden Fragen diskutiert werden – das Thema der nächsten Runde am kommenden Mittwoch lautet zum Beispiel „Europa“. Zudem werden hier Einigungen förmlich abgesegnet. Die Runde ist mehr als doppelt so groß wie bei der letzten schwarz-roten Verhandlung – „eine Mischung aus Wiener Kongress und Bundesversammlung“, spottete SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann.

Aber der Massenandrang hat ernste Hintergründe. Die SPD-Führung will bei der eigenen Basis, die das Verhandlungsergebnis absegnen muss, gar nicht erst den Verdacht der Kungelei unter amtshungrigen Schulterklopfern aufkommen lassen. Für die CSU ist Masse ein Prestigefaktor. Und der CDU steckt noch die Erfahrung der schwarz-gelben Verhandlungen in den Knochen, in denen auf unterer Ebene zahlreiche Formelkompromisse gefunden wurden, die sich später als nicht wirklich tragfähig erwiesen.

Noch größer ist der Kreis der Experten, die in zwölf Arbeits- und vier Unterarbeitsgruppen bereits ab Donnerstag die sachlichen Einigungen vorbereiten sollen. Entscheidend werden aber viel kleinere Kreise sein. Einen setzte die große Runde am Mittwoch formal ein: eine 15 Personen starke „Entscheidergruppe“, der unter anderem die Partei- und Fraktionschefs, die Generalsekretäre und wichtige Landespolitiker wie die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) oder Volker Bouffier (CDU) angehören. Sie sollen Probleme knacken, mit denen die Vollversammlung nicht zurande kommt. Daneben dürfte der bewährte Dreier-Kreis der Parteichefs eine wichtige Rolle spielen, vor allem bei den letzten Fragen und wenn es ums Personal geht. Außerdem bilden sich erfahrungsgemäß Ad-hoc-Kreise, um Kompromisse in Sachfragen zu suchen.

Wo zeichnen sich Schnittmengen ab, wo liegen die größten Konfliktpunkte?

Die großen Fragen, bei denen die Koalitionäre hart um Einigungen ringen müssen, ergeben sich teils aus den Wahlprogrammen, teils aus der Sache selbst. Letzteres gilt zum Beispiel für die Energiewende – das Mammutprojekt berührt eine solche Vielzahl von Partei- und Länderinteressen, dass sie selbst dann nur schwer unter einen Hut zu bekommen wären, wenn sich in den Grundsätzen alle Beteiligten einig wären.

Aus ihrem Wahlkampf-Katalog hat die SPD- Spitze einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro zur zentralen Prestigefrage erhoben, die Union ihren Widerstand gegen Steuererhöhungen und neue Schulden, die CSU die Pkw-Maut für Ausländer.

Ungeachtet mancher Kompromiss-Signale während der Sondierung gingen alle Seiten hier wieder mit ihren Ausgangsforderungen in die konkreten Gespräche. Das ist nicht weiter verwunderlich, hatte sich doch die Union ausdrücklich geweigert, in den Sondierungsgesprächen bereits konkrete Kompromisse einzugehen.

Ohnehin liegt der Teufel im Detail. Dass alle irgendwie einen Mindestlohn wollen, dass sogar die 8,50 Euro nicht ausgeschlossen sind, lässt immer noch viel Raum für Streit über Verfahrensregeln, Ausnahmen und Geltungsbereiche. Dass alle irgendwie finden, in die Sanierung der zunehmend maroden Infrastruktur der drittgrößten Industrienation der Welt müsse ebenso deutlich mehr Geld fließen wie in die Bildung, lässt die Frage noch völlig offen, ob dafür neue Einnahmequellen nötig sind oder, wie es die Union bisher darstellt, das meiste aus dem absehbaren Wirtschaftswachstum finanzierbar wird.

Dagegen herrscht auf vielen anderen Gebieten wirklich nur Dissens in Rand- und Teilbereichen. Eine Pflegereform mit einer Anhebung der Beiträge ist im Kern ebenso unstrittig wie es weite Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik sind. Viele gesellschaftspolitische Streitfragen wie Frauenquote oder doppelte Staatsbürgerschaft gelten als lösbar, andere – etwa das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare – sind schon in den drei Sondierungsrunden als prinzipiell nicht kompromissfähig einfach ausgeklammert worden.

Was sagt der Zuschnitt der Arbeitsgruppen über die zukünftige Regierung aus?

Oft liefern die Arbeitsgruppen in Koalitionsgesprächen schon einen Fingerzeig für den Zuschnitt des nächsten Kabinetts. Das gilt für die Personen, die die Parteien als Leiter der Arbeitsgruppen benennen, aber auch für die Themen selbst. Allerdings liefert die AG-Struktur diesmal besonders wenig Vorfestlegungen. Besonders deutlich zeigt sich das im Fall der Einrichtung einer eigenen Arbeitsgruppe „Energie“. Dahinter steckt die heikle Frage, ob für die Energiewende künftig das Wirtschafts- oder das Umweltministerium federführend verantwortlich zeichnen soll.

Die Frage ist so heikel, dass die Koalitionäre sie kurzerhand vertagten – dass auf Unionsseite der amtierende Umweltminister Peter Altmaier die Energie-Gruppe leitet, ist weniger eine Vorentscheidung als dem Umstand geschuldet, dass Altmaier sich auf Unionsseite von Amts wegen am besten auskennt. Seine Kovorsitzende ist Hannelore Kraft – die aber natürlich nicht Bundesministerin werden will, sondern als Regierungschefin in NRW mit Energiefragen vertraut ist, weil in ihrem Bundesland große Energieerzeuger wie Energieverbraucher sitzen.

Auch sonst bietet das Tableau der Arbeitsgruppenchefs für Polit-Astrologie wenig Material. Olaf Scholz (SPD, Finanzen) oder Ilse Aigner (CSU, Wirtschaft) bleiben Bürgermeister in Hamburg und Wirtschaftsministerin in Bayern. Ohnehin gehören – mit der natürlichen Ausnahme des Grünen Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg – alle Ministerpräsidenten zu den Verhandlern. Das ist schon deshalb unumgänglich, weil beide Partner sich vorgenommen haben, die Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen neu zu regeln. Und auch das bisherige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei der Bildung steht auf dem Prüfstand.

Bei den Bundesministern wiederum ergibt sich der Arbeitsgruppenvorsitz aus dem Amt, ohne dass das als Job-Garantie gedeutet werden könnte. Wolfgang Schäuble steht der Finanzgruppe vor, Thomas de Maizière kümmert sich um Außen- und Sicherheitspolitik, Hans-Peter Friedrich um Inneres und Peter Ramsauer um Verkehr.

Auch auf SPD-Seite ergeben sich nur wenige konkrete Hinweise auf künftige Kabinettsmitglieder. De Maizières SPD- Gegenpart etwa ist Frank-Walter Steinmeier – nicht weil der SPD-Fraktionschef Außenminister werden will, sondern weil er es einmal war. Das schließt nicht aus, dass Steinmeier seinen Wunschjob an der Spitze der Fraktion am Ende doch wieder gegen den Ministersessel tauschen muss. Ein relativ eindeutiges Signal ist die Schweriner Sozialministerin Manuela Schwesig an der Spitze der Arbeitsgruppe Familie. Auf diesem Arbeitsfeld sollte die Vizechefin der SPD nach dem Willen ihrer Partei Ministerin werden. Auch Andrea Nahles (Arbeit) und Thomas Oppermann (Inneres) dürften für die SPD Ministerien übernehmen – welche, ist damit allerdings nicht vorentschieden. SPD- Chef Sigmar Gabriel ist als Vizekanzler ohnehin gesetzt. Aber auch bei ihm ist bisher offen, welches Fachressort er übernehmen will.

So liefert die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen vor allem Material für die personalpolitische Feinanalyse – dass dieser junge Fachpolitiker jener auch noch nicht allzu alten Fachkollegin vorgezogen worden ist, mag ja wirklich etwas über künftige Aufstiegschancen sagen. Doch am Ende bemisst sich der Erfolg einer Regierungskoalition nicht an solchen Fragen. Die drei Parteivorsitzenden haben in ihren Eingangsworten mahnend daran erinnert: Es geht hier schon vor allem um vernünftige Lösungen für das Land und seine Menschen. Das mag pathetisch klingen, falsch ist es nicht. Ob das Kunststück gelingt, hängt manchmal freilich von banalen Dingen ab. Gabriel hat sich jedenfalls genau daran erinnert, dass vor acht Jahren bei der Union das Essen besser war – aber bei der SPD der Wein.

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