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Koalitionsvertrag: Große Koalition will Haushalt sanieren

In zehn Jahren soll Deutschland wieder unter den ersten drei Nationen in Europa sein, sagt Angela Merkel. Die Opposition im Bundestag bezeichnet den Koalitionsvertrag indes als "verheerend" und spricht von Wählerbetrug.

Berlin - Die große Koalition will sich in den nächsten vier Jahren am Erfolg bei der Haushaltssanierung und beim Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen. Das machten die designierte Regierungschefin Angela Merkel (CDU) und der künftige Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) am Samstag in Berlin bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags übereinstimmend deutlich.

Beide Parteichefs mussten einräumen, dass 2006 erstmals kein verfassungskonformer Haushalt vorgelegt werden kann. Erst 2007 soll der Etat wieder so gestaltet werden, dass er dem Grundgesetz entspricht und die Stabilitätskriterien der Europäischen Union mit einer Verschuldungsgrenze von drei Prozent eingehalten werden, betonte Merkel. Der künftige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, die Vorlage des nicht verfassungskonformen Haushalts mit einer Neuverschuldung von 41 Milliarden Euro geschehe bewusst, um die Belebung der Konjunktur nicht zu bremsen.

Die Opposition im Bundestag kritisierte den nach rund vierwöchigen Verhandlungen vorgelegten Koalitionsvertrag scharf. FDP-Chef Guido Westerwelle warf Union und SPD Wählerbetrug vor. «Die SPD hatte im Wahlkampf eine Mehrwertsteuererhöhung kategorisch ausgeschlossen, und die Union hatte verbindlich erklärt, sie würde eins zu eins in die Senkung der Lohnzusatzkosten investiert. Seit heute ist der Wortbruch amtlich.» Linkspartei-Chef Lothar Bisky nannte die Vereinbarungen «verheerend». Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, die Bürger würden durch massive Steuererhöhungen abkassiert.

Merkel, Müntefering, der designierte SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck und CSU-Chef Edmund Stoiber sicherten zu, das zweite schwarz-rote Bündnis in der deutschen Geschichte wolle energisch daran gehen, den Abwärtstrend in Deutschland zu stoppen und umzukehren. Merkel und Müntefering verteidigten die geplanten harten Sparvorhaben. «Wir wissen, dass wir mit diesem Koalitionsvertrag den Menschen auch etwas zumuten», räumte die künftige Kanzlerin ein.

Die Wirtschaft nahm die Koalitionspläne überwiegend negativ auf. Allerdings begrüßte Industrie-Präsident Jürgen Thumann im Grundsatz den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Bei aller Skepsis zeige «der Vertrag noch innerhalb dieser Legislaturperiode Perspektiven auf, dass es allmählich besser werden kann in unserem Land», sagte Thumann der «Bild am Sonntag». Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt warf Union und SPD falsche Weichenstellungen vor.

Der Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats der Bundesregierung, Bert Rürup, widersprach im «Focus» den Hoffnungen der Koalition auf die Beschäftigungswirkung ihrer Beschlüsse. Bauernverbands-Chef Gerd Sonnleitner sah «erkennbare Signale» für die deutsche Landwirtschaft zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen und weltweiten Markt. Der Mittelstand hat sich nach eigenen Angaben mehr Reformen erhofft.

Merkel sagte, auch bei wachsendem Gegenwind seien die künftigen Partner entschlossen, «das als richtig Erkannte» nun auch durchzusetzen. «Wir haben uns mit dieser Koalitionsvereinbarung nicht in die Tasche gelogen», sagte Merkel am Nachmittag beim 26. Bundesdelegiertentag der Frauen Union der CDU in Ludwigsburg. Nach Münteferings Überzeugung kann das Land mit der großen Koalition «als einzig tragbarem Bündnis» wieder zuversichtlicher nach vorn blicken.

Der scheidende SPD-Chef räumte ein, dass auch seiner Partei die Zustimmung zu einzelnen Punkten der Koalitionsvereinbarung schwer gefallen sei. Dazu zählte er besonders die Neuregelung beim Kündigungsschutz. Er sei aber sicher, dass der SPD-Parteitag am Montag in Karlsruhe dem Vertrag seine Zustimmung geben werde. In Berlin und München finden kleine Parteitage der CDU und CSU statt. Stoiber nannte den ausgehandelten Vertrag eine «exzellente Grundlage für stabilere Verhältnisse in Deutschland».

Umweltverbände kritisierten die Pläne der künftigen Koalition trotz des fortgesetzten Atomausstiegs und warnten vor einem Freifahrtschein für Gen-Anbau. Greenpeace sprach von «katastrophalen Rückschritten» und kritisierte die Regelungen zum Klimaschutz. Die Koalition habe sich von den Zielen von Rot-Grün verabschiedet, wenn bis 2020 nur 30 statt bisher 40 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zu 1990 reduziert werden sollten.

(tso/dpa)

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