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Koalitionsvertrag: Vier Jahre, 130 Seiten, 84 Prüfaufträge

Die schwarz-gelbe Koalition verspricht in ihrem Vertrag neues Denken und ein Ende der Verzagtheit. Hier die wichtigsten Beschlüsse im einzelnen.

Berlin - „Mut zur Zukunft“ statt „Verzagtheit“, kündigen CDU, CSU und FDP vollmundig in der Präambel ihres Koalitionsvertrags an. Von einem Neuanfang, wie FDP-Chef Guido Westerwelle ihn gerne verkündet hätte, ist allerdings nicht die Rede, lediglich von „neuem Denken“ und einer „neuen Richtung“, die das Land bekommen solle. Auf 130 Seiten beschreiben die Koalitionspartner, was sie sich für die nächsten vier Jahre vorgenommen haben. Wobei einige Fragen auch einfach vertagt wurden: So will Schwarz-Gelb allein sechs Kommissionen einsetzen, die strittige Fragen klären sollen, von der Gesundheitsreform bis zu einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr. Und 84-mal tauchen im Text die Wörter „prüfen“ oder „überprüfen“ auf. Zu den Inhalten im Einzelnen:

STEUERN RUNTER, ABGABEN RAUF

Union und FDP wollen die Steuern senken. In einem ersten Schritt werden Familien entlastet. Von 2010 an wird das Kindergeld von 164 auf 184 Euro steigen, parallel dazu wird der Kinderfreibetrag von 6024 auf 7008 Euro angehoben. Außerdem soll die kalte Progression abgemildert werden, also das Phänomen, dass jemand trotz Lohnsteigerungen ein sinkendes Realeinkommen hat, weil er steuerlich stärker belastet wird. Die Koalitionspartner versprechen, die Bürger im Laufe der Wahlperiode um 24 Milliarden Euro jährlich zu entlasten, „insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbezieher“. Die Einkommensteuer soll „möglichst“ zum Jahresbeginn 2011 umgebaut werden. Anstelle des bisher progressiv verlaufenden Tarifs (auf jeden zusätzlich verdienten Euro muss ein Arbeitnehmer mehr Steuern zahlen) soll es einen Stufentarif geben. Das heißt: Ab einer bestimmten Grenze muss das darüber liegende Einkommen mit einem höheren Satz besteuert werden. Details sind allerdings noch nicht festgelegt.

Bei der Erbschaftsteuer soll es Erleichterungen für Geschwister und Geschwisterkinder geben. Die ermäßigten Mehrwertsteuersätze sollen von einer Kommission überprüft werden – offenbar mit dem Ziel, mehr Ausnahmen zuzulassen. Im Hotel- und Gastronomiegewerbe soll die Mehrwertsteuer für Beherbergungsleistungen ab 2010 auf sieben Prozent gesenkt werden.

Die absehbaren Milliardenlöcher in den Sozialkassen sollen 2010 über einen Sonderfonds gestopft werden, der im Koalitionsvertrag unter dem Namen „Schutzschirm für die Arbeitnehmer“ firmiert. So wollen Union und FDP dafür sorgen, dass im nächsten Jahr vor allem die Krankenkassen- und die Arbeitslosenbeiträge stabil bleiben. Ab 2011 steigen die Sozialabgaben jedoch wieder, auf jeden Fall in der Arbeitslosenversicherung von 2,8 auf 3,0 Prozent. Die Koalition hat sich aber vorgenommen, dass die Sozialbeiträge insgesamt unter 40 Prozent gehalten werden sollen.

Bei der Müllabfuhr und der Straßenreinigung muss sich ein Teil der Bürger womöglich auf steigende Gebühren einstellen. Kommunale und private Anbieter sollen bei der Mehrwertsteuer gleich behandelt werden, bisher werden kommunale Anbieter begünstigt.

MEHR PFLICHT ZU PRIVATER VORSORGE

Die Bürger sollen verstärkt privat fürs Alter vorsorgen. Union und FDP wollen die Pflicht einführen, eine zusätzliche privaten Absicherung für den Pflegefall abzuschließen. In der gesetzlichen Krankenversicherung soll der von der großen Koalition eingeführte Gesundheitsfonds vorerst bleiben, inklusive der Deckelung für die Zusatzbeiträge, mit denen von 2010 an zu rechnen ist. Eine Regierungskommission soll aber Vorschläge für ein neues Finanzierungssystem erarbeiten. Dafür haben CDU, CSU und FDP bislang lediglich ein paar Stichpunkte vorgegeben. Es soll einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge (also Pauschalen) geben sowie einen prozentualen Arbeitgeberbeitrag, der sich nach Einkommenshöhe richtet. Dieser soll fixiert werden. Das heißt, dass Arbeitnehmer steigende Ausgaben allein schultern müssten.

Wer in Hartz IV abrutscht, soll künftig mehr von seinen Ersparnissen fürs Alter behalten dürfen, das Schonvermögen wird auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Außerdem sollen Langzeitarbeitslose mehr hinzuverdienen können, ohne dass ihnen Kürzungen beim Arbeitslosengeld II drohen. Die von der FDP heftig kritisierten Branchenmindestlöhne, die SPD und Union in den vergangenen Jahren eingeführt haben, werden vorerst nicht abgeschafft, aber bis Oktober 2011 überprüft. Einen gesetzlichen Mindestlohn schließen Union und FDP ausdrücklich aus. Stattdessen sollen sittenwidrige Löhne, die mehr als ein Drittel unter der branchenspezifischen Bezahlung liegen, gesetzlich verboten werden.

Eltern sollen ab 2013 ein Betreuungsgeld von 150 Euro im Monat bekommen, wenn sie für ihr unter dreijähriges Kind keinen staatlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen.

MEHR SICHERHEIT, MEHR FREIHEIT

Die große Konfrontation blieb in der Innenpolitik überraschend aus. Das im BKA-Gesetz vereinbarte Ausspähen von privaten Computern bleibt vorerst weiter erlaubt, dies könnte allerdings nach der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht wieder eingeschränkt werden. Auf Telefon- und Internetverbindungsdaten dürfen die Sicherheitsbehörden vorerst nur bei schwersten Straftaten zugreifen – auch bei dieser „Vorratsdatenspeicherung“ steht ein Urteil aus Karlsruhe aus. Arbeitnehmer sollen durch schärfere gesetzliche Regelungen vor Bespitzelung am Arbeitsplatz geschützt werden. Gegen jugendliche Straftäter will die Koalition künftig schärfer vorgehen, mit Jugendarrest („Warnschuss-Arrest“) und höheren Strafen.

LÄNGERE AKW-LAUFZEITEN,

MEHR ERNEUERBARE ENERGIEN

Union und FDP kündigen den rot-grünen Ausstieg aus der Atomkraft auf. Die Laufzeiten der Meiler sollen verlängert werden, neue allerdings nicht gebaut werden. Konkrete Jahreszahlen nennen die Koalitionspartner nicht. Über die Details soll bald mit den Betreibern verhandelt werden. Die daraus entstehenden zusätzlichen Gewinne der Energiekonzerne sollen zu einem Teil für die Forschung und Vermarktung erneuerbarer Energien investiert werden. Der Salzstock Gorleben soll wieder als Endlager für Atommüll erkundet werden. Im Solarbereich soll die bisherige Förderung zum Teil abgeschmolzen werden. Beim Klimaschutz bekennt sich Schwarz-Gelb dazu, bis 2020 den Ausstoß von Treibhaus-Gas (CO2) um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Außerdem soll notfalls mehr Wettbewerb zwischen den Stromkonzernen erzwungen werden.

MEHR GELD FÜR BILDUNG

Für Bildung und Forschung soll künftig mehr Geld ausgegeben werden. Der Anteil der Investitionen soll von derzeit etwa neun auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Dafür müssten Bund und Länder rund 25 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen. Vor der Einschulung soll es für Vierjährige verbindliche Sprachtests geben. Wenn diese nicht bestanden werden, soll es für die Kinder Sprachförderung geben. Im Hochschulbereich sollen begabte Studenten stärker unterstützt werden. Künftig sollen zehn Prozent der Studierenden ein Stipendium von 300 Euro im Monat erhalten.

KONTINUITÄT IN DER AUSSENPOLITIK

Schwarz-Gelb setzt in der Außenpolitik auf Kontinuität. Zentrale Stichworte aus dem Koalitionsvertrag sind die guten transatlantischen Beziehungen zu den USA sowie das Bekenntnis zur Nato, das besondere deutsch-französische Verhältnis sowie das Ziel der europäischen Einigung. In der Europäischen Union sollen nach Ansicht von Union und FDP Beitrittsverhandlungen mit anderen Staaten – auch der Türkei – ergebnisoffen geführt werden. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland sollen ausgebaut werden – allerdings ohne sich im Energiebereich abhängig zu machen. Die Koalition bekennt sich außerdem zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Es sollen die Voraussetzungen für den Abzug der deutschen Soldaten geschaffen werden, ein Abzugsdatum wird jedoch nicht genannt. Die künftige Regierung will außerdem einen eigenen Afghanistan-Beauftragten einsetzen.

Die Wehrpflicht wird 2011 um drei Monate verkürzt. Junge Männer müssen ab dann nur ein halbes Jahr Wehrdienst leisten.

BERLINER STADTSCHLOSS WIRD GEBAUT

Und in noch einem Punkt setzt Schwarz-Gelb auf Kontinuität: Die künftigen Koalitionspartner halten daran fest, dass in Berlin das Stadtschloss wieder aufgebaut wird. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Der Bundestagsbeschluss zum Bau des Humboldt-Forums am historischen Ort und in der äußeren Gestalt des Berliner Stadtschlosses wird realisiert.“

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