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Eintracht? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Roesler (FDP) demonstrieren Zusammenhalt.

© dapd

Koalitionsvertrag: Warum will die Koalition die Steuern senken?

Es gebe kein Geld für Steuersenkungen, hieß es lange Zeit. Nun kosten Energiewende und Griechenlandkrise Milliarden - und trotzdem sollen die Deutschen nach Koalitionsplänen weniger Steuern zahlen.

Von Antje Sirleschtov

Die Senkung der Einkommensteuer ist das zentrale politische Ziel, mit dem die FDP 2009 in den Wahlkampf gezogen ist. Im Koalitionsvertrag von Union und Liberalen wurden die Pläne zur Entlastung der Steuerzahler zwar festgehalten, allerdings unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Später hatten Merkel und insbesondere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die anhaltenden Forderungen der FDP mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass „die Konsolidierung der Haushalte Vorrang hat“.

Warum sollen die Steuern doch noch gesenkt werden?

Obwohl sich die FDP bei ihrem Sonderparteitag im Frühjahr 2011 vorgenommen hatte, ihr Themenspektrum zu erweitern, hat der neue Vorsitzende Rösler den Delegierten in Rostock versprochen, dass die Partei im Bereich Steuersenkung „liefern“ wird. Nun, da das ungewöhnlich positive Wirtschaftswachstum dem Staat unverhofft Zusatzeinnahmen in die Kassen spült, will Rösler Tatsachen schaffen und noch vor der Sommerpause einen möglichst klaren Beschluss der schwarz-gelben Koalition für eine Senkung der Einkommensteuern erwirken. Von der Kanzlerin hat er dafür in einem Vieraugengespräch Anfang Juni ganz offensichtlich ein grundsätzliches „Go“ erhalten.

Angela Merkel hat ihr Einverständnis für eine Steuersenkung allerdings nicht nur gegeben, um ihrem kleinen Koalitionspartner aus dem Umfragetief zu helfen. Auch in der Union selbst, vor allem in der CSU, gibt es eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Befürwortern. Die Argumente: Wenn die Staatseinnahmen üppig fließen und die Haushaltskonsolidierung gut vorankommt, dann können die Zusatzeinnahmen nicht nur für die Euro-Rettung und die Energiewende verwandt werden, sondern müssen auch den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute kommen.

Wie soll die schwarz-gelbe Entlastung genau aussehen?

Das steht noch nicht fest. Glaubt man der FDP, dann arbeiten die Finanzexperten in der Regierung und in der Bundestagsfraktion an verschiedenen Lösungen, die noch bis Anfang Juli zu einem gemeinsamen Konzept verdichtet werden sollen. Im Finanzministerium von Wolfgang Schäuble ist man allerdings nicht so optimistisch. Hier heißt es, zunächst müssten die Eckwerte des Bundeshaushaltes 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung am 6. Juli im Kabinett verabschiedet werden. Danach, also im Herbst, könne man darüber sprechen, ob Spielräume für eine Steuersenkung vorhanden sind, wie groß sie sind und welche Senkung damit zu finanzieren ist.

Die Ankündigung der sehr konkreten Pläne der Regierung durch die FDP-Spitze und vor allem der heftige Widerstand in den unionsregierten Ländern am Mittwoch hat offenbar auch die Kanzlerin überrascht. Ihr Sprecher Steffen Seibert war am Donnerstag sichtlich bemüht, die Erwartungen an die Steuersenkungspläne zu dämpfen. „Die Bundesregierung wird in dieser LegislaturperiodeSteuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen beschließen“, kündigte Seibert an. Eine schnelle Steuersenkung bereits zum Jahreswechsel schloss er allerdings aus. Damit ist erst einmal klar: Schäuble muss bei der Verabschiedung des Haushalts 2012 Anfang Juli nicht zwingend über Steuersenkungen sprechen. Alles in allem darf man erwarten, dass die Koalitionsspitzen, die sich Anfang Juli auf einen Fahrplan für die zweite Hälfte der Legislaturperiode festlegen wollen, zumindest einen Grundsatzbeschluss zur Senkung der Steuerbelastung für kleine und mittlere Einkommen fassen werden.

Wem würden Steuersenkungen etwas bringen?

Folgt man den Äußerungen der FDP-Spitze, von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und der Landesgruppenchefin der CSU im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, dann geht es Schwarz-Gelb um die Senkung der Belastungen für kleine und mittlere Einkommen. Stichworte sind der Mittelstandsbauch und die kalte Progression. Ersterer ist ein „Bauch“ in der progressiv verlaufenden Kurve der Steuerbelastung, der ungefähr bei 13 500 Euro Jahresverdienst (Brutto) beginnt und dafür sorgt, dass alle, die mehr verdienen, prozentual höhere Steuerabzüge haben, als die darunter Verdienenden. Wollte man diesen „Bauch“ komplett abflachen, würden die Steuerzahler zwischen 200 und 1200 Euro im Jahr sparen. Eine solche „Diät“ allerdings würde den Staat rund 23 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr kosten – eine unfinanzierbare Größe.

Rund 7 bis 8 Milliarden Euro würde eine Operation kosten, die die CSU Anfang des Jahres errechnet und vorgestellt hat. Dabei wird der „Bauch“ nur etwas abgeflacht, so dass etwa ein Single mit 15 000 Euro Jahresverdienst rund 50 Euro im Jahr spart, bei 32 500 Euro wären es 192 Euro und bei 65 000 Euro 384 Euro.

Ob sich Deutschland das überhaupt leisten kann, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Kann sich Deutschland das leisten?

Trotz rasant wachsender Steuereinnahmen macht der Staat jedes Jahr Milliardenschulden. Die Schuldenbremse soll dafür sorgen, dass das ein Ende hat. Dafür gibt es ein kompliziertes Regelwerk, das unter anderem vorsieht, dass in Zukunft „strukturelle“ Ausgaben, wozu auch Steuersenkungen gehören, also jedes Jahr wiederkehrende Mindereinnahmen, nicht mit „konjunkturellen“ (also nur im Aufschwung anfallenden) Mehreinnahmen bezahlt werden dürfen.

Zu Deutsch: Schwarz-Gelb muss an anderer Stelle einsparen, wenn sie die Steuern senken wollen. Wahlgeschenke auf Pump sollen so verhindert werden. Außerdem muss bedacht werden, dass Schäuble bereits Anfang Mai darauf hingewiesen hat, dass der größte Teil der in den nächsten Jahren zu erwartenden Steuermehreinnahmen bereits verplant ist. Dazu kommen noch Kosten für die Energiewende und die Euro-Rettung. Und nicht zu vergessen: Im schwarz-gelben Sparpaket von 2010 (rund 82 Milliarden Euro) fehlen rund 30 Milliarden, weil unter anderem die Bundeswehrreform teurer wird, die Finanzmarkttransaktionssteuer ausfällt und die Brennelementesteuer nicht mehr so viel einbringt.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass statt einer Senkung der Einkommensteuer der Solidaritätszuschlag gestrichen wird?

Weil die Einkommensteuer auf Bund, Länder und Kommunen verteilt wird, kann Schwarz-Gelb eine Steuersenkung nur mit Zustimmung des Bundesrates umsetzen. Mal abgesehen davon, dass auch in den unionsgeführten Ländern harter Widerstand gegen die Berliner Pläne besteht, weil auch die Länder eine Schuldenbremse haben und dort zum Teil unpopuläre Sparmaßnahmen bevorstehen, sperren sich SPD und Grüne gegen das Vorhaben. Den Widerstand zu brechen hieße, die Länder damit zu ködern, dass der Bund deren Steuerausfälle übernimmt. Das würde allerdings die Aktion für den Bund so teuer machen, dass sie kaum realistisch ist.

Deshalb wird vor allem in der FDP darüber nachgedacht, als „Plan B“ den Solizuschlag abzuschaffen. Der fließt zu 100 Prozent in die Bundeskasse, für eine Abschaffung braucht man den Bundesrat also nicht. Mit einem Schlag wären die Steuern um 12 Milliarden Euro gesenkt. Nachteile: Erstens wäre das ein Signal an die Förderung Ostdeutschlands, das man sich bei einer ostdeutschen Kanzlerin schwer vorstellen kann. Schließlich hat Merkel immer die Kontinuität der Ostförderung bis 2019 betont, wozu auch die Kontinuität der Einnahmen gehört. Und zweitens würde die Abschaffung des Soli, der ein Prozentsatz des Bruttoeinkommens ist, vor allem Besserverdienern zugute kommen.

Ein solches Signal der Entlastung der Reichen wollen allerdings in der Union die meisten Befürworter einer Entlastung kleiner Einkommen vermeiden. Eine Mehrheit dafür ist damit nicht sehr wahrscheinlich.

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