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Koaltionsverhandlungen: Schwarz-Rot auf der Zielgeraden

Union und SPD haben weitere Beschlüsse gefasst: Die Lohnnebenkosten sollen um zwei Prozentpunkte sinken, der Kündigungsschutz wird gelockert. Weitere Streitpunkte in der Finanzpolitik sollen ausgeräumt werden.

Berlin - Mit der Einigung auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes und drastische Korrekturen bei Hartz IV haben Union und SPD zum Endspurt der Koalitionsverhandlungen zentrale Hindernisse aus dem Weg geräumt. Das größte Problem, die Sanierung des maroden Haushalts, ist jedoch noch nicht gelöst. Beide Seiten wollen in der Schlussrunde an diesem Donnerstag, die bis in die Nacht gehen könnte, ein Paket aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen schnüren. In der Union wächst der Widerstand gegen höhere Steuern. Eine Einigung in der Atompolitik steht ebenfalls noch aus.

Es gebe «noch richtige Konflikte», sagte Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) am Mittwoch in Berlin. Die «Reichensteuer» sei aus Sicht der Union «schwer verkraftbar», weil besonders große Personengesellschaften belastet würden. Dafür einigten sich Union und SPD aber auf eine Senkung der Lohnnebenkosten um voraussichtlich zwei Prozentpunkte und Einsparungen in Höhe von vier Milliarden Euro bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Die rund 20 Millionen Rentner müssen in den kommenden Jahren auf Rentenerhöhungen verzichten.

Nach langem Streit um die Lockerung des Kündigungsschutzes verständigten sich Union und SPD auf einen Kompromiss. Die Probezeit soll bei Neueinstellungen auf 24 Monate ausgedehnt werden können. Im Gegenzug soll die Möglichkeit abgeschafft werden, Arbeitsverhältnisse ohne sachliche Gründe auf zwei Jahre zu befristen.

Die Verhandlungsgruppe Arbeitsmarkt einigte sich auf die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte auf 4,5 Prozent. Sicher ist aber erst eine Ermäßigung um einen Punkt. Der Zeitpunkt ist noch offen. Die SPD konnte nicht durchsetzen, dass die bereits beschlossene Verkürzung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I auf 18 Monate von Februar 2006 an für ältere Arbeitslose ausgesetzt wird.

Der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, bei den Lohnnebenkosten solle eine «klare 39 Prozent vor dem Komma» stehen. Nach Angaben von Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla (CDU) soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung durch Einsparungen bei der Bundesagentur für Arbeit um einen Prozentpunkt sinken. Ein weiterer Punkt werde voraussichtlich durch eine Mehrwertsteuererhöhung finanziert.

Bezieher von Arbeitslosengeld II sollen stärker in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Dazu arbeite man an neuen Kombi-Lohn-Modellen. Der SPD-Chef und künftige Arbeitsminister Franz Müntefering will Abstriche an Regelsätzen des Arbeitslosengeldes II nicht akzeptieren, sagte er der «Frankfurter Rundschau» (Donnerstag). Die geplante Angleichung ist ungelöst. Der Ost-Satz liegt mit 331 Euro um 14 Euro unter West-Niveau.

Auch auf Rentner kommen Einschnitte zu. Union und SPD vereinbarten laut Pofalla, dass nicht vorgenommene Rentenkürzungen mit möglichen Erhöhungsrunden später verrechnet werden können. Koch und Steinbrück betonten den Willen zum Sparen. Für 2007 sind ein verfassungsgemäßer Haushalt und die Einhaltung des EU-Stabilitätspakts geplant.

Die Kritik an möglichen Steuererhöhungen nahm zu. Die «Fünf Weisen» warnten vor höheren Steuern zur Sanierung des Haushalts. Die Union hält eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent für wahrscheinlich. CSU-Generalsekretär Markus Söder warnte vor einer «Steuererhöhungsorgie». Der Koalitionsvertrag müsse ein «Dreiklang aus Sparen, Reformieren und Investieren seien, sagte er der «Welt».

CDU-Vize Christoph Böhr drohte in der «Bild»-Zeitung, die Vereinbarungen auf dem kleinen Parteitag Anfang kommender Woche abzulehnen, wenn es unter anderem zu deutlichen Steuererhöhungen komme. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach vermisste im «Kölner Stadt-Anzeiger» (Donnerstag) die Handschrift der Union bei bisherigen Resultaten. Die FDP-Politiker Jürgen Koppelin und Carl-Ludwig Thiele drohten mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag wegen angeblich gebrochener Wahlversprechen.

Der Konflikt um längere Laufzeiten von Atomkraftwerken ist noch nicht vom Tisch. Nach dem Einspruch der Unionsführung kündigte der designierte SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel an, voraussichtlich könne das Thema erst am Donnerstagabend geklärt werden. CDU und CSU wollten die Laufzeiten der Atomkraftwerke um acht Jahre verlängern. Nach dem Atomkonsens müssen die Meiler rechnerisch nach 32 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden. Zudem brach ein Streit über Gentechnik aus. Die Unionsseite will ein neues Gesetz, das die Forschung fördert.

DGB und Beamtenbund kritisierten geplante Einschnitte und schlossen Arbeitskämpfe nicht mehr grundsätzlich aus. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verschärfte ihre Kritik an Absprachen zur Föderalismusreform bei Forschung. Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über eine Neuordnung der Finanzen sollen Anfang 2006 beginnen. Nach dieser Zusicherung von CDU/CSU und SPD will die FDP den ersten Schritt der Reform im Bundesrat nicht blockieren.

Einen Erfolg verbuchten Union und SPD in der Außenpolitik. Sie verständigen sich auf Grundsätze. Die Europäische Einigung und die atlantische Partnerschaft sehen beide als die «wichtigsten Pfeiler». Mit Russland wird eine strategische Partnerschaft angestrebt. (tso/dpa)

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