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Bei Bundeswehrsoldaten in Kundus. Kurze Zeit später wird Horst Köhler ein verhängnisvolles Interview geben.

© dpa

Köhler-Rücktritt: Die Macht der Worte

Mit einer Äußerung zum Afghanistaneinsatz begann es. Die Opposition warf ihm "Kanonenbootpolitik" vor. Was hat Köhler genau gesagt?

Von Matthias Schlegel

Berlin - Bei einem solch einschneidenden historischen Ereignis wie dem Rücktritt des Bundespräsidenten ist es geboten, ja, unverzichtbar, noch einmal den eigentlichen Anlass aufs Genaueste zu rekapitulieren. Es ging um ein Interview, das der Journalist Christopher Ricke für das Deutschlandradio mit Horst Köhler geführt hatte – am 22. Mai 2010 im Flugzeug, auf dem Rückflug von einem überraschenden Besuch des Bundespräsidenten bei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

Waren die Äußerungen Köhlers politisch angreifbar, gar mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie den Auslandseinsatz der Bundeswehr am Hindukusch mit wirtschaftlichen Interessen begründeten? Oder ist genau dieser Sinnzusammenhang von der Opposition böswillig konstruiert, um den Bundespräsidenten politisch zu demontieren beziehungsweise die Sicherheitspolitik der Bundesregierung zu diskreditieren? Köhler sah sich veranlasst, nachträglich zu erklären, mit seinen Äußerungen sei nicht die Afghanistan-Mission gemeint gewesen.

Halten wir uns also an den Wortlaut des Interviews. Die Frage des Journalisten lautete: „In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?“ Die Frage selbst konzentriert sich also zunächst auf das Thema Afghanistan, weitet am Ende allerdings den Blick auf die gesamtgesellschaftliche Debatte.

Im Folgenden wird Köhlers Antwort im gesamten Wortlaut dokumentiert, damit der Zusammenhang beziehungsweise Abstand zur Afghanistanthematik deutlich wird. Köhler sagte: „Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus – also Verwaltung, Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung dieser Drogenökonomie –, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann. Wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen.

Ich glaube, dieser Diskurs ist notwendig, um einfach noch einmal in unserer Gesellschaft sich darüber auszutauschen, was eigentlich die Ziele dieses Einsatzes sind. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten, mit anderen Nationen auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen, einer Resolution der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Und ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“

Bei SPD, Grünen und der Linkspartei hatte diese Auffassung scharfe Kritik ausgelöst. Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte, wer wie Köhler darüber räsoniere, ob die Bundeswehr Handelsinteressen sichere, mache in der ohnehin schwierigen Debatte über Auslandseinsätze eine neue Front auf. Das Grundgesetz erlaube keine Wirtschaftskriege. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte Köhler auf, seine Aussagen zu korrigieren. „Wir brauchen weder Kanonenbootpolitik noch eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates“, sagte er. Linksfraktionschef Gregor Gysi nannte Köhlers Worte unverantwortlich. Für Export und Freihandel könne man „alles Mögliche tun, aber sicher keine Kriege führen“. Gysi kündigte an, seine Fraktion werde nun im Bundestag erneut den Abzug aus Afghanistan beantragen und sich in der Begründung auf Köhler berufen.

Während selbst der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, davon sprach, Köhler habe sich wohl „etwas missverständlich“ ausgedrückt, verteidigten FDP-Politiker den Bundespräsidenten. Fraktionsvize Jürgen Koppelin etwa wies darauf hin, dass ähnliche Aussagen zu den deutschen Wirtschaftsinteressen nicht neu seien und sich auch in den „Weißbüchern“ des Verteidigungsministeriums fänden.

In der Tat werden etwa im „Weißbuch“ des Jahres 2006 die „Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik“ damit beschrieben, dass unser Land „aufgrund seiner immer engeren Verflechtung in der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch“ habe. Wie viele andere Länder sei Deutschland „in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen“. Allerdings wird an dieser Stelle keinerlei Zusammenhang zu derzeitigen internationalen Missionen hergestellt. Und im Kapitel „Die Bundeswehr im Einsatz“ wird – gemäß dem Mandat – formuliert, dass die Bundeswehr dort ihren Auftrag erfülle „durch militärische Präsenz sowie durch die Beteiligung an der Wiederaufbauhilfe und die Unterstützung bei der Ausbildung der neuen afghanischen Streitkräfte und der afghanischen Polizei“.

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