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Politik: Köhler: Wir können uns kein verlorenes Jahr mehr leisten In seiner ersten Rede fordert der Bundespräsident Mut zum Aufbruch – und Mäßigung der Wirtschaft

Berlin - Bundespräsident Horst Köhler hat die Deutschen zu Selbstvertrauen in schwierigen Zeiten ermutigt. „Wir haben die Verantwortung, die schöpferischen Kräfte der Menschen zu wecken und zur Entfaltung kommen zu lassen“, sagte Köhler nach seiner Vereidigung.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Bundespräsident Horst Köhler hat die Deutschen zu Selbstvertrauen in schwierigen Zeiten ermutigt. „Wir haben die Verantwortung, die schöpferischen Kräfte der Menschen zu wecken und zur Entfaltung kommen zu lassen“, sagte Köhler nach seiner Vereidigung. „Aus ureigenem Interesse braucht Deutschland einen neuen Aufbruch.“ Es fehle dafür nicht an Talenten, sondern an den Rahmenbedingungen. So habe sich der Sozialstaat übernommen. Das mache eine „neue Balance von Eigenverantwortung und kollektiver Absicherung“ nötig.

Eindringlich mahnte Köhler sowohl die Regierung als auch die Opposition, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Wir können uns trotz aller Wahlen kein einziges verlorenes Jahr für die Erneuerung Deutschlands mehr leisten“, warnte er. Die Agenda 2010 weise in die richtige Richtung. Die Bundesregierung müsse diesen Weg konsequent weiter beschreiten. „Und wir brauchen den Mut der Opposition, ihre Alternativen umfassend und vollständig klar zu machen.“

In der mit viel Beifall und zustimmendem Gelächter aufgenommenen Ansprache ermunterte Köhler die Bürger, sich nicht an vermeintliche Besitzstände zu klammern und ohne die „Angst zu scheitern“ Neues zu erproben. Vom Ball für die Europameisterschaft in Portugal als Produkt deutscher Materialforschung bis zur Berliner Stadtmission gebe es genug Beispiele dafür, dass Deutschland auch in der Globalisierung bestehen könne. Der Umbau werde gleichwohl nicht ohne soziale Härten abgehen. Um so wichtiger sei es, dass alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu Opfern herangezogen würden. Von Wirtschaftsführern erwarte er, dass sie eine „Kultur der Verantwortung und Mäßigung“ vorlebten. Energisch warb Köhler für praktische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Beruf wie in der Familie. Hier sei Deutschland im Weltmaßstab noch ein „Entwicklungsland“. Wichtig sei auch, dass Kinder, junge und alte Menschen in der Gesellschaft zu ihrem je eigenen Recht kommen könnten.

Im außenpolitischen Teil mahnte der frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Deutschland müsse seine Verantwortung für Europa, für eine gute, nicht von „Zerrbildern“ verstellte Partnerschaft mit den USA und für die armen Länder wahrnehmen. Die „Menschlichkeit unserer Welt“ entscheide sich für ihn am Schicksal Afrikas.

Der scheidende Bundespräsident Johannes Rau hatte in seiner letzten kurzen Ansprache vor der Amtsübergabe die Solidarität in den Mittelpunkt gestellt. „Wir müssen einander achten, und wir müssen auf einander achten“, sagte Rau, dem Bundestag und Bundesrat mit stehendem Beifall für seine Amtszeit dankten.

Auch Köhler erhielt für seine Rede Lob von allen Seiten. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, Köhler habe in seiner „großen Rede“ mit Souveränität, aber auch mit Lockerheit die Chancen Deutschlands aufgezeigt. „Er hat sich in guter Weise eingeführt“, sagte Müntefering. Auch CDU-Chefin Angela Merkel lobte Köhlers „positiven Ton“ und bescheinigte ihm eine „lebensnahe Rede“. Beide Parteichefs wiesen darauf hin, dass Köhler sich nicht zum Fürsprecher eines Machtwechsels hat machen lassen. „Den Machtwechsel müssen schon die Parteien selbst organisieren“, sagte Merkel.

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