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Politik: Kolossale Trauer

Von Bernhard Schulz

Einen Augenblick zuckt man zusammen, wenn das Wort vom – morgen anstehenden – „Richtfest“ beim HolocaustDenkmal fällt. Denn eigentlich kann, darf das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ nicht gebaut werden. Es müsste längst da sein, vom Moment des Beschlusses zu seiner Errichtung vor fünf Jahren an – und eigentlich schon immer, seit das NS-Regime besiegt wurde.

Dass stattdessen ein halbes Jahrhundert verging, ohne dass in Deutschland an zentraler Stelle des Judenmordes gedacht wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die jahrzehntelangen Schwierigkeiten im Umgang mit der furchtbaren Vergangenheit. Erst musste der Glücksfall der deutschen Wiedervereinigung kommen, ehe sich Gedenken in der Gestalt eines zentralen Denkmals äußern konnte. Und dann noch bedurfte es einer langen Debatte um die künstlerische Form, bis der Bundestag sich für den Entwurf Peter Eisenmans aussprach.

Freilich, es schwangen in der Debatte erst um das Ob, dann um das Wie eines solchen Denkmals auch weniger harmonische Nebentöne mit. Da ist zum einen die – horribile dictu – „Opferkonkurrenz“, die etwa die Sinti und Roma vom Denkmalsgehalt ausschloss, von den zu Millionen verhungerten sowjetischen Kriegsgefangenen ganz zu schweigen. Da ist die Konkurrenz um eine Hierarchie des Erinnerns, die dem begriffslosen Entsetzen angesichts des Leides der Opfer den Vorzug gibt vor der präzisen Dokumentation der Ereignisse und ihrer Täter, wie sie die ins Schlingern geratene „Topographie des Terrors“ betreibt. Und da ist die schiere Massivität, mit der das groß nicht geratene, sondern gewollte Denkmal den Betrachter zu überwältigen sucht.

Das ist kein geringer Einwand. Der Schriftsteller Günter de Bruyn, der ein halbes Menschenleben in der DDR verbracht hat, schrieb zum Baubeginn des Mahnmals, künftige Generationen würden „sich des Verdachts nicht erwehren können, mit dem Kolossalen der Anlage sei insgeheim die kolossale Fähigkeit der Deutschen zum Trauern gemeint“. Wenn schon nicht zum Trauern, so doch zum staatlich sanktionierten Ritual: denn das ist der andere Gehalt des nun vor der Vollendung stehenden Denkmals hart am Brandenburger Tor, dass es Auskunft gibt über den spätestens im Historikerstreit von 1986 gefundenen Konsens, den Epochenbruch des NS-Völkermordes als quasi archimedischen Punkt der deutschen Politik nach Hitler zu verstehen. Von diesem Ereignis aus bestimmt sich deutsche Politik; und dies umso mehr, als ihr seit 1990 die europäische Blockteilung als Markierung glücklicherweise entfallen ist.

So ist das Denkmal am historisch nicht ganz korrekten Ort – denn Hitlers Reichskanzlei, wo der wahnwitzige Plan des Judenmordes erdacht wurde, lag weiter südlich – auch der Ausdruck dessen, wogegen es vermeintlich mit aller Macht seiner 2700 Betonklötze ansteht: der Historisierung der Vergangenheit. Wenn das Denkmal im kommenden Jahr fertiggestellt sein wird, 60 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über das NS-Regime, werden nur mehr wenige Zeitzeugen zugegen sein. Die heute gedenken, sind Nachgeborene; es lohnte, über Helmut Kohls hämisch missverstandenes Wort von der „Gnade der späten Geburt“ gerade im Angesicht des gewaltigen Denkmalfeldes nochmals nachzusinnen. Wir Heutigen können Denkmäler errichten, ohne die schmerzliche Re-Integration der Gesellschaft zu gefährden, wie dies in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Nazi-Reichs der Fall gewesen wäre. Wir schauen allerdings auf die Verbrechen dieses Regimes als ein in die Ferne rückenes Faktum, mit denen uns wohl die Verantwortung zu überlegtem politischen Handeln, nicht aber eigene Schuld verbindet.

Morgen wird man in Augenschein nehmen, was das Denkmal besagt. Es ist, seiner Größe zum Trotz, nur ein kleiner Teil der Bewältigung jener Aufgabe, die uns aufgegeben bleibt: zu erinnern an die Vergangenheit, um daraus Lehren zu ziehen für Gegenwart und Zukunft.

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