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Kolumbien: Mit dem Leben als Waffe

Wie kolumbianische Friedensdörfer um ihre Zukunft kämpfen – und warum dazu Aufmerksamkeit wichtiger ist als Geld.

Von Michael Schmidt

Berlin – Wir befinden uns im Jahr 2007. Ganz Kolumbien ist von Armeeangehörigen, Polizisten, Guerillakämpfern, Paramilitärs und Drogenhändlern besetzt ... Ganz Kolumbien? Nein! Ein von unbeugsamen Bauern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Gewalt Widerstand zu leisten. Einer von ihnen ist Gildardo Tuberquia, ein Mann aus einfachen Verhältnissen, Vater dreier Kinder und Mitbegründer des ersten kolumbianischen Friedensdorfes San Jose de Apartado. Tuberquia will ein Beispiel geben für gelebte Alternativen zum bewaffneten Konflikt – und muss doch ständig von Mord und Totschlag erzählen: „Seit 1997 sind mehr als 170 Mitglieder unserer Friedensgemeinschaft ermordet worden“, sagte Tuberquia, als er auf Einladung von Amnesty International in Berlin über Leben und Sterben in seiner Heimat berichtet.

Als Zivilist respektiert zu werden, nicht Partei zu ergreifen, sich rauszuhalten, das ist nahezu unmöglich in einem Land, in dem seit mehr als 40 Jahren einen Bürgerkrieg herrscht. In den vergangenen zwei Jahrzehnten fielen ihm nach Angaben von Menschenrechtlern etwa 70 000 Menschen zum Opfer, getreu dem Motto „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Über drei Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land, fünf Millionen Kolumbianer sollen im Exil leben.

Vor zehn Jahren schlossen sich die Überlebenden jahrelanger Drangsalierungen durch rechte Paramilitärs aus den Ansiedlungen der Provinz Antiochia in dem Dorf San Jose de Apartado zusammen, gegen Gewalt, Vertreibung und Flucht: Mit Hinweisschildern erklärten sie sich weithin sichtbar zur neutralen, entmilitarisierten Zone. Weder die linke Guerilla noch die rechten Paramilitärs, noch das staatliche Militär würden ihre Neutralität akzeptieren, sagt Tuberquia. Sie kämpfen, bekämpfen sich, machen das Land unbewohnbar und das Leben schwer.

In ihrem Dorf gibt es keine Schule, keine medizinische Versorgung. Alles beruht auf Eigeninitiative. Drogen und Alkohol sind verboten: Nichts darf sie schwächen. Denn die am Kampf um Land und Rohstoffe Beteiligten wollen sie von ihrem Grund vertreiben. Mit Angst und Schrecken, durch Morde und Massaker. Doch sie wehren sich, dokumentieren die Gewalt und bezeugen die Angriffe. „Natürlich leben wir in ständiger Angst,“ sagt Tuberquia. Sie werden angegriffen, wenn sie auf dem Feld arbeiten. Sie werden vor den Augen ihrer Kinder aus dem Haus gezerrt und ermordet, ihre Leichen werden in guerillatypische Kleidung gesteckt, Waffen und Munition dazugelegt, um sie als linke Rebellen zu verleumden. Vom Staat, von der Regierung, sagt Tuberquia, haben sie deshalb keine Hilfe zu erwarten, keine Aufklärung, „nur Beschuldigungen, indirekt mit der Guerilla zu kooperieren“.

Unterstützung aber gibt es von außen, aus Deutschland zum Beispiel: San Jose de Apartado hat, stellvertretend für die inzwischen insgesamt rund 50 Friedensdörfer in Kolumbien, den Aachener Friedenspreis 2007 erhalten.

Das verschafft seinem Dorf, was es braucht, sagt Tuberquia: Aufmerksamkeit. „Waffen helfen uns nicht“, so der junge Mann. „Das Einzige, was unser Überleben sichert, ist die internationale Präsenz zum Beispiel der Peace Brigades und internationaler Druck auf die Regierung.“ Damit das Morden und die Straflosigkeit ein Ende haben.

Obwohl der US-Kongress unter dem Eindruck der dauernden Vorwürfe gegen die Regierung von Präsident Alvaro Uribe die Militärhilfe für die in der Provinz Antiochia stationierte 17. Armeebrigade eingefroren hat, setzt Tuberquia nur wenig auf die Politik. Er hält vielmehr an seinem Traum fest und hofft auf die Stärke, die aus Stolz und Trotz erwächst: Im März 2008 werden zehn Familien an den Ort eines Massakers aus dem Jahr 2005 zurückkehren, „um dort ein normales, friedliches Leben zu leben, ihr Land zu bestellen und ihre Kinder zu erziehen“.

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