zum Hauptinhalt
Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Kolumne "Einspruch": Gott im Gesetz

In Schleswig-Holstein möchte eine Volksinitiative Gott in die Verfassung schreiben. Typisch deutsch, findet unser Autor. Und unnötig.

In Kiel gehen die Anhänger des Abendlands zwar nicht auf die Straße, aber sie sammeln Unterschriften. Eine Volksinitiative möchte Gott in die Verfassung schreiben, was eine Landtagsmehrheit 2014 abgelehnt hatte. Eine überparteiliche Bewegung, zur deren Befürwortern die früheren Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) und Björn Engholm (SPD) zählen. Die Kirchen unterstützen das Projekt, Juden und Muslime ebenfalls.

Viele wissen es nicht, aber Gott ist eine feste Größe im Gesetz. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ haben sich die Deutschen ihr Grundgesetz gegeben. Zahlreiche Landesverfassungen beginnen mit ähnlichen Formeln. Bayern ragt durch besondere Eigenständigkeit heraus, indem es eine Welt ohne Gott als „Trümmerfeld“ verortet. Damit wollte man sich vom religionsfeindlichen Totalitarismus des NS-Regimes abwenden.

Die explizite Wiederkehr des Übernatürlichen ist ein Phänomen der Nachkriegszeit und spezifisch deutsch

Für Gläubige ist der Gott im Gesetz zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die er historisch nicht ist. Weder die Paulskirchenverfassung noch die Weimarer Verfassung hatten eine vergleichbar transzendente Klausel. Auch die meisten europäischen Staaten verzichten darauf. In den Europäischen Verträgen spielt Gott keine Rolle. Die explizite Wiederkehr des Übernatürlichen ist ein Phänomen der Nachkriegszeit und spezifisch deutsch, was in keiner Weise Anlass dazu geben sollte, das Anliegen kleinzureden. Wir sind nun mal Deutsche mit deutscher Vergangenheit.

Bloß: Braucht es dafür Gott? Das „Trümmerfeld“, in das die Nazis das Land verwandelten, war nicht der Abwesenheit Gottes geschuldet, wie die Verstrickung der Kirchen in das NS-Regime erweist. Außerdem ist Gott, juristisch betrachtet, eine Leerformel. Was soll ein Begriff im Gesetz, der keine Bedeutung hat?

Alle staatliche Macht ist begrenzt, soll das heißen, es gibt etwas, das größer ist

Um den Gottesbezug zu begründen, ist es opportun geworden, mit weltlichen Argumenten zu hantieren. Er solle daran erinnern, heißt es, dass alle staatliche Macht begrenzt sei, dass es etwas gebe, das größer sei als wir. Mag so sein, allerdings werden damit nur Kategorien benannt, die auch Nichtreligiöse kennen und anerkennen können. Ohne Gott.

Verfassungen sollen eine Gesellschaft integrieren. Ob Gott hineingehört, ist daher weder eine rechtliche noch eine religiöse Frage, sondern allein eine politische. Eint der Gottesbezug oder spaltet er eher? Die politische Antwort darauf lautet wohl so: Steht er drin, eint er. Soll er erst noch hineingeschrieben werden, spaltet er. Wer Verfassungsinterpreten bei der Arbeit beobachtet, vom Karlsruher Richter bis zum Bundespräsidenten, erkennt zudem deutlich, wie religiös der Bezug auf das Grundgesetz zuweilen schon geworden ist: Die Rede von Freiheit, Menschenrecht und Demokratie ist oft nichts anderes als weltliche Liturgie. Gott steht nicht über dem Gesetz, er scheint längst drin zu sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false