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Kommentar: Putins langer Schatten

Eigentlich ist der russische Ministerpräsident gar nicht für Außenpolitik zuständig. Doch Wladimir Putin spart nicht mit Kriegsrhetorik. Er drohte Georgien mit Vergeltung, legt sich mit den USA an und düpiert seinen Nachfolger Präsident Dmitri Medwedew öffentlich. Der dagegen sieht eher blass aus - trotzdem muss er die Politik seines Vorgängers verteidigen.

Die entscheidenden Worte im Konflikt um Südossetien kamen nicht von Präsident Dmitri Medwedew, sondern von dessen Vorgänger: Premier Wladimir Putin. Russland, so Putin, habe im Kaukasus stets eine stabilisierende und daher positive Rolle gespielt. Das werde auch künftig so bleiben. "Möge niemand daran zweifeln".

Die Warnung galt Washington, das sich seit dem Ende der Sowjetunion mit Moskau einen knallharten Verdrängungswettbewerb im ölreichen und strategisch wichtigen Südkaukasus liefert. Mit grauer Windjacke, grauem Hemd mit offenem Kragen und einem vor Müdigkeit grauen Gesicht war Putin, von der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking kommend, am Samstag ohne Zwischenstopp nach Wladikawkas, der Hauptstadt der zur Russland gehörenden Teilrepublik Nordossetien geflogen, um dort verwundete Soldaten zu besuchen und die Hilfe für die inzwischen 30 000 Kriegsflüchtlinge aus Südossetien zu koordinieren.

Normale Politiker wachsen über sich hinaus - nicht so Medwedew

Präsident Dmitri Medwedew, der laut Verfassung auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, dagegen sitzt in Moskau. Mit Schlips, Kragen und gut gefönter Tolle. Das kommt bei Iwan Normalverbraucher so schlecht an wie Medwedews bisherige Äußerungen zum Konflikt: Die Aggression werde Georgien nicht ungestraft durchgehen, Russland "Leben und Würde" seiner Bürger schützen. Die Nation hatte mehr Biss erwartet und Putin daher nicht nur, als er die USA frontal anging, die ungeteilten Sympathien der Russen auf seiner Seite, sondern auch, als er sich tags darauf bei einer Krisensitzung im Kreml seinen Nachfolger verknöpfte: Medwedew möchte doch bitte dafür sorgen, dass die "Gräueltaten" der Georgier hinreichend dokumentiert werden, um die Verantwortlichen dann vor den Kadi zerren zu können. In Den Haag wie Milosevic und Karadzic.

Staatsender RTR übertrug die Szene in voller Länge und ersparte Medwedews dabei nichts: Nicht die plötzliche Blässe, nicht den flackernden Blick, nicht die geduckte Haltung eines Schuljungen, der bei nicht gemachten Hausaufgaben ertappt wurde. Fast hundert Tage im Amt, ist es Medwedew - laut Verfassung Oberbefehlshaber der Streitkräfte und verantwortlich für Außen- und Verteidigungspolitik - bisher nicht gelungen, sich aus dem Schlagschatten seines Vorgängers zu befreien. Nicht einmal durch den Krieg in Südossetien. Situationen wie diese sorgen– siehe nine/eleven –gewöhnlich dafür, dass selbst un- oder mittelmäßig begabte Politiker wie Bush über sich hinauswachsen. Nicht so in Russland, wo inzwischen sogar Gerüchte kursieren, Putin bereite seine Rückkehr in den Kreml vor und habe deshalb den Konflikt um Südossetien zum heißen Krieg eskalieren lassen. Mit Hilfe seiner Paladine, die nach wie vor Schlüsselstellen in Armee und Geheimdiensten inne haben.

Medwedew zwischen den Fronten

Da könnte etwas dran sein. Dass Georgien wild entschlossen war, den Konflikt mit den Separatisten mit militärischen Mitteln zu beenden, war selbst für Laien Tage vor Beginn der Kampfhandlungen erkennbar. 8 000 Soldaten soll Tiflis in Marsch gesetzt haben, dazu Panzer und schwere Artillerie. Eine derartige Umgruppierung aber ist nicht in wenigen Stunden, sondern bestenfalls in Tagen zu bewerkstelligen. Was, fragte daher völlig zu Recht, der Moskauer Militärexperte Alexander Goltz, haben Russland Aufklärung und Abwehr in diesen Tagen gemacht? In der Tat: Wenn ihnen die Truppenbewegungen entgangen sind, sollten die Generäle den Dienst quittieren. Sehr viel wahrscheinlicher indes ist, dass sie Anweisung von Putin hatten, Georgiens Kriegsvorbereitungen einfach zu ignorieren und Medwedew voll auflaufen zu lassen.

Dieser war offenbar völlig ahnungslos. Denn der Nationale Sicherheitsrat, den nur der Präsident einberufen kann, trat erst Stunden nach Kriegsausbruch zusammen. Auch wäre es für Putin ein Leichtes gewesen, mit Bush, den er in Peking am Rande der Olympischen Sommerspiele traf zu vereinbaren, Georgien wie die Separatisten zurückzupfeifen. Das er es nicht tat – womöglich aus machtpolitischen Erwägungen heraus – muss neben Georgiern und Südosseten auch Medwedew auslöffeln. Der dürfte zudem heute (Dienstag), bei Frankreichs Nicolas Sarkozy, der ihm die Meinung der EU zu dem Gemetzel um die Ohren hauen will, auf wenig Verständnis für den "Zwang zum Frieden" stoßen, wie Strafexpedition gegen Georgien inzwischen offiziell verkauft wird. Schon in Tschetschenien und zuvor in Afghanistan hat Moskau gezeigt, dass, wenn Russland für den Frieden kämpft, kein Stein auf dem anderen bleibt.

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