zum Hauptinhalt

Politik: Kommunalwahlen in Paris: Racheschwüre aus dem Rathaus

In der französischen Hauptstadt zeichnet sich eine historische Wende ab: Zum ersten Mal seit der Kommune 1871 könnte Paris bald schon von der Linken regiert werden. Vier Wochen vor Beginn der Kommunalwahlen am 11.

In der französischen Hauptstadt zeichnet sich eine historische Wende ab: Zum ersten Mal seit der Kommune 1871 könnte Paris bald schon von der Linken regiert werden. Vier Wochen vor Beginn der Kommunalwahlen am 11. März weisen alle Umfragen den Sozialisten Bertrand Delanoe als Sieger aus. Mit dem 50-jährigen Delanoe würde zugleich zum ersten Mal ein bekennender Homosexueller ins Pariser Rathaus einziehen. Die Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur" hat schon mit einer Geschichte über das "fröhliche, schwule Paris" aufgemacht.

Die drohende Niederlage löst im bürgerlichen Lager Panik aus. Bisher herrschte ein Burgfrieden zwischen dem amtierenden Bürgermeister Jean Tiberi, der wegen zahlreicher Affären von den Neogaullisten verstoßen wurde, und seinem Amtsvorgänger Jacques Chirac. Doch nun wurde der Nichtangriffspakt gebrochen: Staatschef Chirac schickte seine Gattin Bernadette zu einem Wahlkampfbesuch ins 14. Pariser Arrondissement, wo sie sich mit dem offiziellen Kandidaten der Neogaullisten, Philippe Seguin, zeigte. Daraufhin warf Tiberi seinem Parteifreund Chirac Amtsmißbrauch vor - und drohte mit der Enthüllung des Rathaus-Archivs, das belastende Unterlagen über die umstrittene 18-jährige Regentschaft Chiracs im Pariser "Hotel de Ville" enthalten dürfte.

"Chirac unterstützt Seguin und bricht damit sein Versprechen, nicht in den Pariser Wahlkampf einzugreifen", kritisierte Tiberi. "Seguin ist nun der offizielle Kandidat des Staatschefs, so etwas hat es seit dem zweiten Empire nicht mehr gegeben." Und dann legte Tiberi, der lange Zeit als rechte Hand Chiracs im Pariser Rathaus gedient hatte, richtig los: "Ich bin moralisch und politisch enttäuscht. Chirac vergißt, daß ich ihm 1977 zu seiner politischen Karriere in Paris verholfen habe. Der Präsident macht ziemlichen Unsinn, wie schon 1997." Damals hatte Chirac ohne Not das Parlament aufgelöst und bei den folgenden Neuwahlen seine Regierungsmehrheit verloren.

Sollte Tiberi das Rathaus-Archiv aufdecken oder "aus der Schule" plaudern, könnte Chirac in ernste Bedrängnis geraten. Denn Tiberi kennt wie kein anderer das "System Chirac", das der Staatschef bis 1995 in der Hauptstadt installiert hatte. Dazu sollen gefälschte Wahllisten, fiktive Stellen im Rathaus und ein System illegaler Parteienfinanzierung gehört haben. Bisher hat niemand es gewagt, Chirac direkt zu belasten - doch das könnte sich nun ändern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false