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Politik: Kompromisse im Morgengrauen

Politiker verhandeln oft bis nach Mitternacht

Berlin - Tarifverhandlungspartner kennen das: Nach vielen gescheiterten Runden reift die Entscheidung tief in der Nacht heran. Irgendwann am frühen Morgen stehen ermattete Verhandlungspartner vor den Kameras und verkünden einen Kompromiss. Die Botschaft für das Publikum lautet: Man hat bis zum Ende hart verhandelt, hätte gern mehr herausgeholt, kann mit dem Kompromiss aber leben.

Das Prinzip funktioniert auch in der Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist bekannt für ihre Ausdauer. Während der Koalitionsverhandlungen wurden viele Details zwischen Union und SPD in tiefer Nacht ausgehandelt. Auch beim entscheidenden Treffen zur Gesundheitsreform an diesem Sonntag wird mit einem Ergebnis erst am frühen Morgen gerechnet.

Schlafforscher halten von solchen Nachtrunden nicht viel. Gegen 18 Uhr sinkt die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Nachts um drei Uhr kommt die „biologische Geisterstunde“, wo der absolute Tiefpunkt der biologischen Tätigkeit des Körpers erreicht wird. „Wenn man in diese Nähe kommt, sehen die Kompromisse entsprechend aus“, warnt der Regensburger Schlafmediziner Jürgen Zulley.

Das hält die Politiker aber offenbar nicht davon ab, nachts zu beraten und zu verhandeln. Eine Reihe wichtiger Entscheidungen der vergangenen Jahre wurden gefällt, während das Volk schlief, wie die nachfolgende Auswahl zeigt.

Am 23. August 1990 wurde um 2.47 Uhr das Ende der DDR besiegelt. Nach fast elfstündiger Sitzung verkündete Volkskammer-Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) das Ergebnis der Abstimmung über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2000 erklärte CDU-Partei- und Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble bei einem Krisentreffen in Berlin zunächst intern den Rücktritt von seinen Ämtern.

Am 21. Juli 2003 verkündeten Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Union-Gesundheitsexperte Horst Seehofer um 3.35 Uhr die damalige Gesundheitsreform. Pathetisch berichtete der CSU-Mann von einer der schöneren Nächte in seinem Leben. Durchhaltevermögen zeigte auch der Visa-Untersuchungsausschuss am 13. Mai 2005: Er beendete erst um sechs Uhr morgens seine am Vortag begonnene Sitzung. Zwei Monate später wurde der damalige Außenminister Otto Schily (SPD) vor dem Ausschuss befragt - nach 15 Stunden wurde er am 0.11 Uhr aus dem Zeugenstand entlassen.

Auch im Ringen um den geeigneten Kandidaten für das Präsidentenamt machten deutsche Politiker Überstunden. Die Präsidien von CDU, CSU und FDP einigten sich in getrennten Nachtsitzungen auf den damaligen Chef des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler. Die jüngste politische Nachtschicht liegt zwei Monate zurück: Am 1. Mai einigte sich der Koalitionsausschuss kurz nach Mitternacht auf das Elterngeld und die Reichensteuer. ddp

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