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Konflikt in Syrien: Wie die Gerüchte um Giftgas die Politik beeinflussen

In Syrien wird die Lage immer unübersichtlicher. UN-Beauftragte sind sich uneinig, ob Giftgas eingesetzt wird – und von wem. Welche Folgen hat das für die Politik?

Einen Tag nach den israelischen Bombenangriffen auf syrische Militäreinrichtungen haben Vertreter der Vereinten Nationen mit widersprüchlichen Behauptungen über einen möglichen Giftgaseinsatz durch syrische Aufständische Verwirrung gestiftet. Zunächst hatte die UN-Ermittlerin und frühere Chefanklägerin beim UN-Kriegsverbrechertribunal, Carla del Ponte, im Schweizer Fernsehen erklärt, es gebe „einen sehr starken, konkreten Verdacht, wenn auch noch keine unwiderlegbaren Beweise“, dass das Nervengas Sarin von Rebellen, nicht jedoch von dem Regime von Baschar al Assad eingesetzt worden sei. Am Montagnachmittag jedoch ging die UN-Sonderkommission dann zu ihrem Mitglied del Ponte öffentlich auf Distanz und ließ erklären, es gebe „keine beweiskräftigen Ermittlungsergebnisse für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien durch irgendeine der an dem Konflikt beteiligten Parteien“. Daher sei die Kommission derzeit nicht in der Lage, solche Behauptungen weiter zu kommentieren.

Wie kommt del Ponte zu den Vorwürfen?

Del Ponte stützt ihre Einschätzung auf Interviews mit Kriegsopfern, Medizinern und Krankenhauspersonal. Ihre Kommission führte die Gespräche in Syriens Nachbarländern. Die UN-Ermittler legen in Abständen Berichte über Kriegsverbrechen in Syrien vor. Unabhängig von der Kommission des UN-Menschenrechtsrates wartet ein Team des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon auf die Einreise nach Syrien. Dort sollen die Gesundheits- und Chemieexperten den möglichen Einsatz von Kampfgasen überprüfen. Ursprünglich hatte die Regierung von Präsident Assad die Untersuchung beim UN-Generalsekretär beantragt. Doch bis jetzt verweigert das Assad-Regime dem Team den Aufenthalt in Syrien. Westliche Geheimdienste wie der amerikanische CIA schätzen, dass Syrien eines der umfangreichsten Giftgasarsenale besitzt. Syrien ist kein Vertragsstaat der internationalen Chemiewaffenkonvention von 1997: Das Abkommen verbietet Entwicklung, Produktion, Einsatz, Lagerung und Weitergabe der Kampfstoffe. Syrien gehört jedoch dem Genfer Protokoll von 1925 an: Das Protokoll ächtet nur den Einsatz von Giftgasen.

Wie hat sich die Lage in Syrien entwickelt?

Beide Konfliktgegner in Syrien gehen nach Angaben des Internationalen Komitees von Roten Kreuz (IKRK) immer grausamer vor und kümmern sich kaum noch um Verletzte und Tote. Für humanitäre Helfer werde es zugleich immer gefährlicher, Opfer medizinisch zu versorgen oder Leichen zu bergen, beklagte das IKRK am Montag in einem in Genf veröffentlichten Bericht.

Das humanitäre Völkerrecht gebiete, auch Tote mit Achtung zu behandeln und Verwundete rasch zu versorgen, erklärte Magne Barth, Leiter der IKRK-Delegation in Syrien. Die Realität in Syrien sei davon weit entfernt.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beschwor angesichts der israelischen Luftangriffe nahe Damaskus und nahe der libanesischen Grenze alle Konfliktparteien, „maximale Ruhe und Zurückhaltung“ zu zeigen. Russland dagegen warf dem Westen erneut vor, ein militärisches Eingreifen vorzubereiten.

Wie wird sich Israel weiter verhalten?

Wie die in London ansässige Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, starben aufgrund der israelischen Luftangriffe mindestens 42 syrische Soldaten, rund hundert würden noch vermisst. Die israelische Regierung soll der syrischen nach den Attacken mitgeteilt haben, dass diese ausdrücklich nicht Syrien, sondern der Hisbollah galten. Dies habe die internationale Gemeinschaft auch so verstanden, heißt es in Jerusalem. Tatsächlich hat nur Teheran scharf reagiert, selbst die arabischen Staaten hielten sich in ihrer Kritik an Israel auffallend zurück.

Stadt- und Gemeindeoberhäupter wurden in Israel aufgefordert, die öffentlichen Luftschutzkeller auf Funktionsbereitschaft zu überprüfen – jedoch weiterhin geschlossen zu halten. Die bereits im Norden stationierte Raketenabwehr wurde verstärkt, die Truppen bereiten sich auf alle Eventualitäten vor. Den Assad-Truppen werden in Israel durchaus auch Raketenangriffe zugetraut. Man solle nicht vergessen, dass zwar die syrischen Bodentruppen durch den Bürgerkrieg erheblich geschwächt seien, jedoch das Raketenarsenal unbeschädigt geblieben sei, warnen israelische Experten.

Assad hätte es nach israelischer Ansicht aber am liebsten, „wenn die Hisbollah für ihn die Drecksarbeit erledigen würde“, also aus dem von ihr weitgehend beherrschten Südlibanon Raketen gegen Israel abschießen würde. Vereinzelt wäre dies wohl möglich. Richtig gefährlich wären solche Attacken für Israel aber nicht. Denn dafür fehlt es der Hisbollah an Kämpfern im grenznahen Bereich. Ein Großteil der Hisbollah-Truppen kämpft an der Seite der Assad-Einheiten im syrischen Bürgerkrieg. Viele andere sind nun damit beschäftigt, den von Israel attackierten Waffennachschub abzusichern.

Ändert sich durch die neuen Erkenntnisse die Strategie der USA?

Präsidentensprecher Jay Carney sagt, die USA betrachteten Carla del Pontes Anschuldigung, die Rebellen könnten Giftgas eingesetzt haben, „sehr skeptisch“. Wenn jemand in dem Bürgerkrieg Chemiewaffen benutze, sei es „sehr wahrscheinlich das Assad-Regime“. Präsident Obama hat mehrfach gesagt, der Einsatz von Chemiewaffen, aber auch ihre Weitergabe an radikale Islamisten sei „eine rote Linie“, die seine Syrienstrategie verändern würde. Er betonte zugleich: „Wir müssen ganz sicher sein, wenn wir solche Vorwürfe erheben.“ Bisher gebe es keine unabweisbaren Belege für einen Einsatz durch die eine oder andere Seite. Obama will den Bericht der UN-Beobachter abwarten. Auch die Entscheidung über Waffenlieferungen an die Opposition, die mehrere Republikaner fordern, wird noch einige Wochen in Anspruch nehmen.

Sollte sich herausstellen, dass Rebellengruppen Zugriff auf Giftgas haben, würde das die Lage komplizieren. Es gehört zu den erklärten Zielen der USA in Syrien, zu verhindern, dass Chemiewaffen in die Hände islamischer Extremisten wie der Hisbollah fallen. US-Medien hatten über Planungen berichtet, wie US-Truppen mit einer Intervention die Vorräte unter ihre Kontrolle bringen können.

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