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Gewagter Vergleich: Wladimir Putin fühlt sich beim Kampf um die Krim an den Tempelberg erinnert.

© Reuters

Konflikt um die Ukraine: Der Westen muss Russland Grenzen aufzeigen

Die Ukraine will aus dem Machtbereich Russlands ausbrechen, Moskau will das verhindern. Der Kern des Konflikts liegt damit in der Region, nicht im Verhältnis zum Westen. Trotzdem kann der Westen eine konstruktive Rolle spielen und Länder wie die Ukraine nach besten Kräften unterstützen. Ein Gastkommentar.

Ein Kommentar von Ulrich Speck

Je länger der Ukraine-Konflikt dauert, um so deutlicher wird, worum es im Kern geht: Die Ukraine will aus dem Machtbereich Russlands ausbrechen, Moskau will das verhindern. Aus Sicht der Ukraine geht es um Reform, also darum, den Erfolgsweg zu gehen, den die westlichen Nachbarn nach 1990 gegangen sind. Die Bemühungen seit der "Orangenen Revolution" von 2004, Reform aus eigener Kraft zu gestalten, waren weitgehend erfolglos. Deshalb will das Land einen neuen Versuch starten, diesmal mit Hilfe des starken Partners EU.

Deshalb ist das Assoziationsabkommen in der Ukraine so beliebt. Und deshalb ist der Griff Moskaus im Lande auch so verhasst: nicht nur wegen des militärischen Angriffs auf den Osten und wegen der Annexion der Krim, sondern weil Russlands Partner im Land nicht die Reformer sind, sondern die korrupten, kleptokratischen Eliten.

Wladimir Putin dagegen will die Kontrolle über die Ukraine behalten. In seiner Sicht einer multipolaren Weltordnung gibt es einige wenige mächtige Länder, die die Schwächeren nach eigenem Gutdünken kontrollieren, wenn nötig auch mit militärischer Gewalt. Die Ukraine gehört in seinen Augen in den russischen Machtbereich.

Moskau will eine Satellitenregierung in Kiew

Deshalb gibt es auch keinen Kompromiss, keine ernsthaften Verhandlungen mit Moskau. Es geht nicht bloß um Wirtschaftsinteressen (die für Putin ohnehin selten Priorität haben), es geht auch nicht um den Schutz von Minderheiten (die in der Ukraine nicht bedroht waren und sind). Für den Kreml geht es darum, dass in Kiew eine Regierung sitzt, die auf das Kommando aus Moskau hört, eine Satellitenregierung. Das ist das Ziel, an dem Putin auch weiterhin festhält; eine durch Krieg und Krise geschwächte Ukraine soll Moskau wieder in den Schoss fallen.

Wenn das so ist, was soll Deutschland, was soll die EU, was soll der Westen tun? Es gibt zwei Lager, zwei Positionen, zwei Optionen, die selten offen diskutiert werden, die aber doch die Diskussion prägen. Entweder der Westen akzeptiert Moskaus Anspruch auf Vorherrschaft in der Region, oder aber der Westen stellt sich dem Bemühen des Kreml, die post-sowjetische Nachbarschaft unter Kontrolle zu bekommen, in den Weg.

Die Position, der Westen solle die Ukraine doch Russland überlassen, kommt zum einen als realpolitische Haltung daher. In der kalten Welt der großen Mächte geht es nun einmal darwinistisch zu, Amerika verhält sich auch nicht anders. Man soll doch Putin seine Einflusssphäre lassen, wenn sie ihm so wichtig ist. Und Reform in der Ukraine ist sowieso hoffnungslos.

Oder in einer pazifistischen Variante: Es drohe ein neuer Kalter Krieg mit Russland, ein Konflikt mit unberechenbaren Konsequenzen. Priorität müsse daher die Entspannung Russlands haben, ein permanentes, therapeutisches Reden, das Putins Verhärtungen aufbrechen und den Kremlherren wieder milde stimmen würde. Ein bisschen wie Scheherazdade in Tausendundeiner Nacht, die unablässig spricht, um nicht dem Zorn des Königs zum Opfer zu fallen.

Die andere Position setzt auf Einmischung. Der Westen muss Russland Gegendruck entgegensetzen und die Ukraine - und andere um Souveränität kämpfende osteuropäische Länder - unterstützen. Aus drei Gründen.

Erstens, aus Prinzip. Der Westen kann keine regionale Ordnung im postsowjetischen Raum akzeptieren, die die Grundlagen der internationalen Ordnung, wie sie seit 1945 aufgebaut und nach 1989 ausgeweitet und bestätigt wurde, unterläuft und schwächt. Kein Land kann ein anderes dauerhaft zum Satelliten degradieren; hier steht Multilateralismus, das Prinzip also, dass Schwächere auch Rechte haben, gegen die von Putin propagierte multipolare Ordnung.

Zweitens, weil der Westen ein erhebliches Interesse an guter Regierungsführung hat. Ein Land in der Nachbarschaft der EU, das sich befreien will von Korruption und Misswirtschaft, muss vom Westen nach Kräften unterstützt werden. Nur wenn die Ukraine und andere Länder der Region stabil sind, mit fähigen Regierungen und Bevölkerungen, die ihre Interessen gewahrt und geschützt sehen, gibt es Stabilität: feste Grenzen, eine dauerhafte Ordnung in der Region.

Der Kern des Konflikts liegt nicht im Verhältnis zum Westen

Drittens, weil es illusorisch ist, zu denken, man könne das Rad der Geschichte zurückdrehen. Russland wird sich nicht von seinem imperialen Programm auf absehbare Zeit abbringen lassen, und die Ukraine und andere Länder der Region werden sich nicht mehr von Moskau unterwerfen lassen.

Ulrich Speck
Ulrich Speck

© R/D

Der Kern des Konflikts liegt in der Region, nicht im Verhältnis zum Westen. Doch der Westen kann eine mehr oder weniger konstruktive Rolle spielen. Konstruktiv ist es, Russland Grenzen aufzuzeigen - mit den Mitteln des ökonomischen Drucks - und die Länder, die sich um Reform bemühen, nach Kräften zu unterstützen.

Der Westen hat sich zwei Jahrzehnte auf Russland konzentriert und die anderen post-sowjetischen Länder weitgehend ignoriert (mit Ausnahme der baltischen Staaten). Das war offenbar ein Fehler, wie man jetzt sieht. Die Ukraine-Krise sollte Anlass zu einer neuen Ostpolitik geben, in der Länder wie die Ukraine, Moldau und Georgien Priorität gewinnen.​

Ulrich Speck ist Visiting Scholar bei Carnegie Europe.

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