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Konflikt zwischen Ukraine und Russland: Welche Folgen kann der Gasstreit für Europa haben?

Nachdem die Ukraine am Montagmorgen ein Ultimatum der Russen zur Zahlung von ausstehenden Gas-Rechnungen verstreichen ließ, stellte Moskau die Lieferungen an seinen Nachbarn ein. Was bedeutet das für Europa? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie 2006 und 2009 ist nun erneut ein Gas-Krieg zwischen der Ukraine und Russland ausgebrochen. Nachdem die Ukraine am Montagmorgen ein Ultimatum der Russen zur Zahlung von ausstehenden Gas-Rechnungen verstreichen ließ, stellte Moskau die Lieferungen an seinen Nachbarn ein. Beide Länder haben angekündigt, sich vor dem internationalen Wirtschaftsgerichtshof in Stockholm verklagen zu wollen.

Was fordert Russland?

Russland verlangt von Kiew 4,5 Milliarden US-Dollar. Nachdem der pro-russische Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt wurde, haben die Russen auf die Einhaltung der Verträge von 2009 bestanden. Von März ab sollte die Ukraine 485 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlen. Dabei waren im Dezember 2013 noch unter dem ehemaligen Janukowitsch Rabatte ausgehandelt worden, danach zahlte die Ukraine nur einen Gaspreis um etwa 200 bis 220 US-Dollar pro 1000 Kubik.

Warum zahlt die Ukraine nicht?

Die Ukraine wirft Russland vor, mit der Annektion der Krim am 16. März 2014, sich widerrechtlich ukrainisches Gebiet und Besitz angeeignet zu haben. Unter anderem lagern in unterirdischen Gas-Speichern auf der Halbinsel mehrere Milliarden Kubikmeter Gas. Diese Bestände habe Russland einfach übernommen. Deshalb klagt die Ukraine vor dem internationalen Wirtschaftsgerichtshof in Stockholm auf Schadensersatz, Russland dagegen auf Zahlung der Rechnungen.

Die Ukraine ist sich sicher, dass sie vor Gericht gewinnt. Offenbar hat sich der ukrainische Premier zu diesem Schritt entschieden, weil er sich einer Unterstützung der USA sicher sein kann. Ohnehin gilt Arsenji Jazenjuk als Kandidat der Amerikaner, während Präsident Petro Poroschenko eher auf der Linie der Europäer schwimmt. Jazenjuk ist bereit, den USA die Tür ins Energiegeschäft der Ukraine zu öffnen. Auch deshalb sind in Moskau alle Alarmlampen auf rot. Die amerikanische Firmen wollen von Odessa aus, im Schwarzen Meer Milliarden Kubikmeter Schiefergas aus kilometertiefen Gesteinsschichten zu Tage fördern.

Könnte die Ukraine zahlen?

In den vergangenen Monaten hat die Ukraine Hilfsgelder der USA und der EU erhalten, unter anderem zwei Milliarden US-Dollar aus einem Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds. Allerdings hatten die westlichen Geldgeber, vor allem die USA, darauf gedrängt, mit dem Geld nicht die Gas-Schulden zu zahlen, sondern Wirtschaftsreformen anzustoßen.

Wie akut ist das Problem für Europa?

In den kommenden Tagen und wenigen Wochen dürfte sich der Lieferstopp kaum bemerkbar machen. Das gibt den Streitparteien ein wenig Zeit – allerdings nicht bis zum Beginn der Heizsaison im Herbst. Denn aus technischen Gründen müssen die Erdgasspeicher in der Ukraine gut gefüllt sein, um Gas durchleiten zu können. Das Speichergas wird gebraucht, um Druckschwankungen in den Transitgaspipelines auszugleichen. Laut EU-Kommission lagern in den Ukraine derzeit rund 13,5 Milliarden Kubikmeter Gas. Um die Versorgungssicherheit für Europa herzustellen, müssten die Menge bis Ende des Sommers auf 18 bis 20 Milliarden Kubikmeter steigen, hieß es am Montag. Sollte es bis dahin keine Einigung geben, könnte die Situation entstehen, dass die Ukraine im Winter selbst versorgen kann, aber kein Gas mehr für den Transit übrig hat. EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der im Gasstreit bisher erfolglos vermittelte, erklärte am Montag, je nachdem, wie sich die Ukraine verhalte, „hätten wir bei einem kalten Winter ein Problem“.

Wer ist von dem Lieferstopp betroffen?

Etwa die Hälfte der russischen Exportgasmengen strömen über ukrainisches Staatsgebiet weiter in den Süden und Westen Europas. Stark bis vollständig abhängig von diesen Lieferungen sind vor allem die direkten Nachbarländer der Ukraine: Rumänien, Ungarn und Slowenien. Auch die nicht angrenzenden Balkan-Länder und Griechenland hängen stark von russischem Gas ab, wie sich in den Jahren 2006 und 2009 zeigte, als die Russen die Lieferungen schon einmal eingestellt hatten. Ukraines Nachbarland Polen käme indes wohl glimpflich davon, da Russland das Land über die Jamal-Pipeline versorgt, die über Weißrussland verläuft. Zudem könnte Polen auch leichter aus dem Westen versorgt werden.

Was ist mit Deutschland?

Deutschland kann den heimischen Erdgasbedarf nur zu rund zehn Prozent aus heimischen Quellen decken. Russland ist der wichtigste ausländische Lieferant, schickt das Gas aber größten Teils mittlerweile direkt – ohne Querung von anderen Staatsgebieten – durch die im Herbst 2011 eingeweihte Nord Stream Pipeline bis nach Greifswald in Vorpommern. Diese Leitung ist auch nicht voll ausgelastet, Gazprom könnte die Liefermenge womöglich noch erhöhen. Wie auch andere Lieferanten: Norwegen stellt derzeit rund ein Viertel des deutschen Bedarfs bereit, die Niederlande knapp ein Fünftel. Diese Länder können womöglich kurzfristig Liefermengen signifikant erhöhen, lang

Von früheren Lieferstopps der Russen an die Ukraine war Deutschland nicht direkt betroffen. Auch aktuell sieht die Bundesregierung die Versorgung im unserem Land nicht gefährdet. Die 51 unterirdischen Gasspeicher seien derzeit zu fast 75 Prozent gefüllt, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Das dürfte die Versorgung für mehrere Monate gewährleisten.

Wie kann das Dilemma gelöst werden?

Sollte der Gerichtshof in Schweden die Klage Russlands und der Ukraine tatsächlich verhandeln und ein Urteil fällen, könnte das ein Weg aus der Krise sein. Kurzfristig ist der Streit offenbar nicht einmal unter internationaler Vermittlung lösbar. Auch mittelfristig ist es ausgeschlossen, dass sich die Ukraine und Russland untereinander einigen. Dazu braucht es mehrere Partner, und wohl auch die USA. Alle Parteien, die in Zukunft im Energiesektor der Ukraine mitmischen wollen, sollten in die Gespräche einbezogen werden.

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