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In mindestens 24 Ländern werden Kinder als Soldaten rekrutiert.

© dpa

Konflikte: Wer denkt noch an diese Kriege?

Überall auf der Welt werden Konflikte mit brutaler Gewalt ausgetragen. Mal geht es um Bodenschätze, mal um religiöse und ethnische Konflikte und meist um Macht. Doch anders als die Kriege in Syrien oder Afghanistan werden sie international kaum wahrgenommen. Wir schauen hin.

Niemand weiß, wie viele Menschen jeden Tag in Kriegsgebieten sterben. Sind es Hunderte oder gar Tausende? Über die meisten Konflikte wird in den Nachrichten kaum berichtet. Weil keine deutschen Soldaten beteiligt sind, wir kein Öl oder Gas aus der Region beziehen und Flüchtlinge es nicht bis nach Europa schaffen. Doch was ist beispielsweise mit dem Kongo oder Birma? Dort toben vergessene Kriege, unter denen die jeweilige Bevölkerung tagtäglich leidet. Die Ursachen dafür sind ganz unterschiedlicher Natur.

In Afrika gibt es mehrere Konfliktregionen, in denen seit Jahrzehnten immer wieder Kriege ausbrechen, ohne dass die Weltöffentlichkeit dauerhaft Notiz davon nimmt. In Ostafrika sind das vor allem Somalia und Sudan sowie Südsudan. In Zentralafrika ist es die Region der großen Seen. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind in den Kriegen mehr Menschen gestorben als irgendwo sonst seit dem Zweiten Weltkrieg. Seit ein paar Wochen wird in der Provinz Nordkivu wieder gekämpft. Auch im Kongo gibt es mehr als einen Grund für die immer wieder aufflammenden Konflikte. Aber ein Aspekt spielt in fast allen Auseinandersetzungen eine Rolle: Zugang zu Rohstoffen.

Der Ostkongo ist reich daran. So reich, dass sich nicht nur die Regierung in Kinschasa oder sich immer wieder neu formierende Milizen ihren Anteil daran sichern wollen. Gold, Diamanten, Holz, strategische Metalle wie beispielsweise Koltan oder neuerdings auch das Erdöl sind auch für die Nachbarstaaten interessant. So interessant, dass Uganda und Ruanda mehrfach eingriffen. Im aktuellen Konflikt hat erneut Ruanda seine Hände im Spiel. Das werfen die Vereinten Nationen dem Land jedenfalls in einem jüngst veröffentlichten Report vor – und eine Reihe von Regierungen hat daraufhin Sanktionen erlassen. Auch Deutschland, das seine Budgethilfe für die ruandische Regierung eingefroren hat.

Das jüngste Ressourcenproblem ist das Erdöl. Uganda hat es im Albertsee gefunden. Wo die Grenze zwischen beiden Ländern verläuft, ist nicht ganz klar. Und eine endgültige Lösung für die Frage, wie die Bodenschätze geteilt werden sollen, steht aus. Seit 2007 wird verhandelt. Doch aktuell sind die Gespräche gescheitert. Uganda will in diesem Jahr mit der Förderung beginnen. Gleichzeitig suchen unter anderen britische Ölfirmen im Virunga-Nationalpark nach weiteren Quellen. Das Öl dürfte kaum zur Befriedung der Region beitragen, vermutet die International Crisis Group in ihrer aktuellen Analyse.

Auch in Asien sterben jeden Tag Menschen in vergessenen Kriegen.

Auch in Asien sterben jeden Tag Menschen in vergessenen Kriegen. Im Süden Thailands etwa, wo die muslimisch-malayische Minderheit um Unabhängigkeit kämpft, oder im Nordosten Indiens, wo sich im Bundesstaat Nagaland zwei Volksgruppen feindlich gegenüberstehen. Viele Konflikte in der Region gehen auf ethnische und religiöse Spannungen zurück. „Oft sind diese aus der Kolonialzeit hervorgegangen“, sagt Jasmin Lorch, Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Kolonialherren setzten bei ihrer Herrschaft bewusst auf ethnische und religiöse Unterschiede, um ihre Vormachtstellung zu festigen. Nach dem Prinzip „teile und herrsche“ wurden bestimmte Gruppen gefördert, andere fühlten sich benachteiligt. Das birgt bis heute Spannungspotenzial. Im Konfliktfall treten ethnische und religiöse Unterschiede daher auch heute schnell wieder in den Vordergrund.

Bildergalerie: Das Jahr eins nach der Spaltung des Sudan

Auf den ersten Blick scheinen die Konfliktlinien also klar. Tatsächlich sind die Zusammenhänge aber fast überall komplexer. Zum Beispiel auf den Philippinen, wo islamische Kräfte für eine Abspaltung der Inselgruppe Mindanao vom christlich geprägten Hauptstaat kämpfen. Tatsächlich gibt es mehrere Rebellengruppen und Terrororganisationen, die zum Teil sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Die Religion ist gleichwohl ein nützliches Banner für den Widerstand – zumal die Aufständischen über islamistische Netzwerke Unterstützung aus aller Welt erhalten können. Mit Hilfe terroristischer Organisationen aus dem Umfeld von Al Qaida gelangen spektakuläre Aktionen, die zumindest eine Zeit lang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Konflikt lenkte. Die Entführung der deutschen Familie Wallert und anderer Touristen durch die Terrorgruppe Abu Sayyaf vor zwölf Jahren ist dafür wohl das beste Beispiel.

Statt um Religion geht es im Konflikt um Mindanao vor allem um Macht – auch als einige Rebellen-Kommandeure 2008 christliche Gemeinden angriffen. Sie wollten schlicht die Friedensverhandlungen torpedieren, als die sich in Richtung mehr Eigenständigkeit für die Inselgruppe bewegten und keine völlige Unabhängigkeit mehr vorsahen. Und als wäre die Lage damit noch nicht kompliziert genug, mischen in Mindanao längst auch paramilitärische Einheiten mit, die eigentlich nur Geschäftsleute und Politiker beschützen sollten. Inzwischen sind aus ihnen stattliche Privatarmeen entstanden, mit denen einzelne Politiker oder Clans ihre eigenen Interessen durchzusetzen versuchen. Und der kommunistische Aufstand, ein zweiter vergessener Krieg auf den Philippinen, strahlt ebenfalls auf Mindanao aus.

Die Bevölkerung leidet am meisten. Das gilt auch für Birma, das eigentlich gerade durch seinen demokratischen Reformprozess von sich reden macht. Gleich mehrere Minderheiten kämpfen aber weiter um ihre Unabhängigkeit. Immer wieder gab es Waffenstillstandsabkommen, so auch derzeit, doch „wirkliche politische Verhandlungen blieben bis heute aus“, sagt SWP-Gastwissenschaftlerin Jasmin Lorch. Wirklich gelöst wurden die Konflikte so nie. Lorch spricht von „schweren Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten“, von immer neuen Toten, niedergebrannten Dörfern und Zwangsrekrutierungen. Längst hat sich in den Kampfgebieten eine regelrechte Kriegsökonomie entwickelt. Aufständische und Teile der Regierungstruppen handeln mit Teakholz, Drogen und Waffen. Die Grenzen zwischen Kriminellen, Rebellen und Regierungsmilizen verliefen dabei oft fließend, erklärt Lorch. Klar ist, wer am Geschäft mit dem Krieg beteiligt ist, hat kein Interesse am Frieden. Und wohl auch kein Interesse an internationaler Aufmerksamkeit.

340 000 Menschen sind vor Kämpfen auf der Flucht, sie leben als Vertriebene im eigenen Land. Derzeit ist auch der Konflikt um muslimische Rohingyas wieder aktuell.

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