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Kampfbereit: Ein Schiit patrouilliert vor einen Denkmal in Kirkuk.

© AFP

Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten: Angst vor dem Religionskrieg

Die Türkei hat islamische Gelehrte nach Istanbul eingeladen. Das Treffen soll helfen, die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten zu verringern.

Die Konflikte im Irak und in Syrien schüren in der Region die Furcht vor einem Religionskrieg zwischen Sunniten und Schiiten. Mit einer „Initiative für Frieden, Mäßigung und Respekt“ wollen islamische Gelehrte aus der Türkei und mehreren Nahoststaaten dieser Gefahr begegnen. Zum Auftakt einer dreitägigen Konferenz zu dem Thema in Istanbul sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag, der Koran verbiete Bruderkämpfe: „Alle Muslime sind Brüder“, sagte er. Die islamische Welt müsse daher Selbstkritik üben, sagte Erdogan.

Anspruch auf eine Führungsrolle

Das vom türkischen Religionsamt organisierte Treffen ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass Ankara die Eskalation an seinen Südgrenzen fürchtet, sondern auch Ausdruck des türkischen Anspruches auf eine Führungsrolle in der islamischen Welt. In seiner Rede erinnerte Erdogan denn auch an die lange Herrschaft des Osmanenreiches in Nahost. Niemand habe das Recht, unschuldige Menschen zu töten und sich dann als „wahrer Muslim“ zu bezeichnen.

Insbesondere der Vormarsch der radikal-sunnitischen Miliz Isis im Irak und in Syrien hatte die Gefahr eines innerislamischen Konflikts heraufbeschworen – das staatliche türkische Religionsamt als Gastgeberin der Istanbuler Konferenz verglich die Lage mit den europäischen Religionskriegen zwischen Katholiken und Protestanten in den vergangenen Jahrhunderten. Nach Istanbul waren sowohl sunnitische als auch schiitische Geistliche aus dem Irak, aus Syrien, dem Libanon, Jemen, Saudi-Arabien und den Golfstaaten eingeladen worden.

Erdogan beschwört Einheit der Muslime

Die Isis-Kämpfer wollen in ihrem Machtbereich die extreme Version eines Islam-Staates durchsetzen, der schiitische Muslime wie Christen als Ungläubige betrachtet. Die Miliz verübte in den vergangenen Wochen mehrere Massaker an Schiiten, die im Irak die Bevölkerungsmehrheit stellen. Sunniten kämpfen gegen die Truppen von Premier Nuri al Maliki. Dieser setzt verstärkt auf schiitische Milizen, die nach Darstellung seiner Gegenspieler vom Iran finanziert und bewaffnet werden. Während Erdogan in Istanbul die Einheit aller Muslime beschwor, kündigten die sunnitischen Aufständischen im Irak an, sie wollten kämpfen, bis die von Schiiten geführte Regierung in Bagdad gestürzt sei. Man befinde sich im „heiligen Krieg“, sagte der salafistische Geistliche und Politiker Abd al Naser al Dschanabi bei einem Treffen von Repräsentanten der Sunniten in der jordanischen Hauptstadt Amman.

Ankara fürchtet Übergreifen der Konflikte

Als direkte Nachbarin der Konfliktherde in Syrien und im Irak befürchtet die Türkei, dass die konfessionellen Spannungen auf ihr Gebiet übergreifen könnten. Das mehrheitlich sunnitische Land hat eine starke alevitische Minderheit von rund 15 Millionen Menschen – deren Glauben Berührungspunkte mit den Schiiten hat –, die sich in ihren Rechten eingeengt fühlen. Daneben gibt es noch eine kleine schiitische Gemeinde. Offiziell werden Aleviten und Schiiten nicht als religiöse Minderheiten anerkannt. In jüngster Zeit sind die konfessionellen Gegensätze in der Türkei immer wieder in Gewalt umgeschlagen. In Istanbul setzten Unbekannte zwei schiitische Moscheen in Brand. Geistliche berichteten, sie seien vor den Anschlägen bedroht worden, doch habe die Polizei nichts unternommen. Im Jahr 1993 starben im ostanatolischen Sivas 37 Menschen beim Brandanschlag eines sunnitischen Mobs auf ein Hotel, in dem eine alevitische Konferenz stattfand.

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