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Kongo: Und wieder Krieg

Im Ostkongo sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht, Tutsi-Rebellen haben weite Teile des Gebietes unter ihre Kontrolle gebracht. Kann der Konflikt auf die ganze Region übergreifen?

Ruhe hat es in Nord-Kivu auch nach dem Friedensabkommen von Goma im Januar nicht gegeben. Damals hatten die Regierung der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und 22 Milizen, unter ihnen die Tutsi-Miliz (CNDP) des desertierten Generals Laurent Nkunda, eine Waffenruhe vereinbart. Doch die Hutu-Milizen (FDLR), von denen einige am Völkermord im Nachbarland Ruanda beteiligt gewesen sein sollen, haben das Abkommen nicht unterzeichnet, und die kongolesische Armee hat diese Milizen nicht, wie versprochen, entwaffnet.

Seit August ist aus dem latenten Konflikt wieder ein offener Krieg geworden. Nkunda wird von Ruanda unterstützt, auch wenn die Regierung in Kigali dies bestreitet. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gibt es in Nkundas Miliz eine Vielzahl früherer Offiziere der ruandischen Armee. Vor wenigen Wochen rief der kongolesische Präsident Joseph Kabila in einer Fernsehansprache zur Mobilmachung im Osten auf, weil ruandische Truppen die Grenze überschritten hätten. Tatsächlich hat Ruanda Ende der 90er Jahre zwei Mal Soldaten in den Ostkongo einmarschieren lassen, um Hutu-Milizen zu bekämpfen, und um sich Zugang zu Bodenschätzen zu verschaffen. Vor allem das seltene Metall Coltan, das auch in Mobiltelefonen Verwendung findet, wird überwiegend über Ruanda auf den Weltmarkt gebracht – und hat Kongos Nachbarland reich gemacht. Ruandas Hauptstadt Kigali erlebt einen Bauboom, und die Coltan-Ausfuhren Ruandas lassen sich jedenfalls nicht mit den geringen Vorkommen im eigenen Land erklären. Am Mittwoch schickte Kabila seinen neuen Minister für regionale Kooperation, Raymond Tshibanda, ins südliche Nachbarland Angola, um den Präsidenten Jose Eduardo dos Santos um Hilfe zu bitten, „um die Souveränität Kongos zu erhalten“. Auch Angola hatte in den Kongokriegen Truppen im Kongo. Der Krieg könnte sich schnell wieder zum Regionalkonflikt auswachsen.

In den vergangenen Tagen hat Nkundas Miliz mehrere Dörfer und das Hauptquartier des Virunga-Nationalparks, wo noch paar hundert Berggorillas leben, eingenommen. Er stoppte seine Offensive am Mittwochabend wenige Kilometer vor Goma. Nach Angaben des britischen Senders BBC rief er eine einseitige Waffenruhe aus, „um Panik in der Stadt zu vermeiden“. Dafür war es allerdings schon zu spät. Georg Dörken, Kongo-Koordinator der Welthungerhilfe, berichtete dem Tagesspiegel, wie er am Mittwochnachmittag aus Goma über die Grenze nach Ruanda geflohen ist: „Es war knapp.“ Am Vormittag sei die Lage ruhig gewesen. Die Schulen seien offen gewesen, die Märkte auch. „Doch gegen 14 Uhr 30 schlug die Lage innerhalb von 15 Minuten um.“ Sämtliche Hilfsorganisationen seien von den UN aufgefordert worden, sich in Sicherheit zu bringen. Tausende Menschen sind aus den umkämpften Gebieten nach Goma geflüchtet. Rund 250 000 Menschen sind laut UN auf der Flucht. Am Mittwoch verließen die Soldaten der kongolesischen Armee Goma kampflos. Sie konfiszierten jedes Fahrzeug, das ihnen in die Hände fiel. Mit ihren Panzern drängten sie andere Fahrzeuge ab. Eines sei „mit einer Panzerfaust weggeschossen worden“, sagt Görken. Die Regierungstruppen bestehen aus früheren Milizionären und Ex-Kindersoldaten. Sie werden nicht bezahlt, haben nichts zu essen, werden sie verletzt, bekommen sie keine medizinische Hilfe. Warum sollten sie also kämpfen?

Helen O’Neill von Ärzte ohne Grenzen berichtet, dass ihre Organisation weiter Hilfe leistet. Einige Teams seien unterwegs, um die Vertriebenen zu finden. In Goma herrsche Panik. Nach Angaben der UN haben in der Nacht und am Morgen betrunkene kongolesische Regierungssoldaten Häuser ausgeraubt, drei Mädchen vergewaltigt und neun Menschen getötet. Die UN versichern, sie wollten die Zivilbevölkerung in Goma schützen. Doch das Vertrauen in die UN ist erschüttert. Anfang der Woche gab es eine gewalttätige Demonstration gegen die Friedenstruppe. Doch die insgesamt 17 000 Soldaten sind nicht nur in Nord-Kivu im Einsatz. Es brennt auch anderswo.

Nkunda forderte am Donnerstag direkte Gespräche mit der Regierung. Das Goma-Abkommen war zwar von der Regierung unterschrieben worden, die Verhandlungen waren aber nicht direkt geführt worden. Vor wenigen Wochen hatte Nkunda auch eine deutsche Vermittlung ins Gespräch gebracht. Allerdings rief er zur gleichen Zeit zum Sturz der Regierung in Kinshasa auf und ließ auch am Donnerstag wissen, er wolle „alle Kongolesen befreien“. Die würden darauf lieber verzichten. Niemand hat vergessen, was passierte, als Nkundas Miliz 2004 die Stadt Bukavu am südlichen Ende des Kivusees eingenommen hat. Ein ganzes Wochenende lang zogen seine Milizen brandschatzend und vergewaltigend durch die Stadt. Die Menschen haben gute Gründe, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

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