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Ungarns Regierungschef Viktor Orban macht im eigenen Land Stimmung gegen die EU. Seine Parteikollegen sitzen aber weiterhin im Europaparlament.

© Alessandra Tarantino/dpa

Konservative in der EU: Ungarns Populisten werden zur Belastung

Orbans Fidesz-Leute sitzen im Europa-Parlament in der gleichen Fraktion wie die Abgeordneten der CDU und CSU. Der Druck wächst, die Europagegner aus der Fraktion zu werfen.

„Stoppt Brüssel“, steht auf einem Schreiben, das dieser Tage an alle ungarischen Haushalte ging. Ein Fragebogen, unterzeichnet von Premier Viktor Orban, soll von den Bürgern ausgefüllt und bis zum 20. Mai zurückgeschickt werden. In plump-populistischem Ton werden sechs Fragen gestellt. Die sechste Frage geht so: „Ungarn ist gewillt, weiter die Steuern zu senken.“ Die EU greife Ungarn deswegen an. „Was soll Ungarn tun?“ Der Bürger hat die Wahl zwischen: „Ungarn sollte darauf bestehen, Steuern senken zu dürfen.“ Oder: „Wir sollten akzeptieren, dass Brüssel die Höhe der Steuern diktiert.“ Orban schürt mit dem Schreiben nicht nur Stimmung gegen die EU, er hantiert mit der Unwahrheit: Steuerpolitik ist Sache der Mitgliedstaaten.

Streit um die Soros-Universität

Das Anti-EU-Pamphlet ist kein Einzelfall. Budapest hat gerade erst mit einem Gesetz für große Empörung gesorgt, mit dem Orban einer ihm missliebigen Universität den Garaus machen will. Die renommierte Central European University (CEU), die von US-Investor George Soros vor 25 Jahren gegründet wurde, wird wohl schließen müssen. Hintergrund: Orban kämpft gegen Soros eine Privatfehde und hat den Investor mit ungarischen Wurzeln zur unerwünschten Person im Land erklärt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand bei seiner Rede im Europaparlament deutliche Worte gegen das Vorgehen Orbans: Es dürfe Europa nicht egal sein, wenn „der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft – wie jetzt an der CEU in Budapest – die Luft zum Atmen genommen werden soll“. Steinmeier bekam großen Beifall.

Nur ein Abgeordneter verweigerte Steinmeier den Applaus: Jozsef Szajer von Orbans Partei Fidesz. Die Partei ist im Europaparlament Teil der größten Fraktion, also der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die deutschen Abgeordneten von CDU und CSU angehören. Szajer führt die ungarische Delegation in der EVP an und macht mit dieser Geste auf ein Dilemma von EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) aufmerksam: In seiner Truppe sind etliche Abgeordnete, die dem Rechtspopulisten Orban nahestehen. Der Sozialdemokrat Tibor Szanyi setzt Weber nun mit einem offenen Brief unter Druck, Farbe zu bekennen: „Teilt die EVP-Fraktion Orbans Werte? Billigt die EVP seine Taten?“

Die Anti-Europa-Politiker beschädigen die Glaubwürdigkeit der EVP

Orban und die Fidesz sind längst eine Belastung für die Partei der Europäischen Christdemokraten geworden. Es beschädigt die Glaubwürdigkeit, den Anti-Europa-Politiker in den eigenen Reihen zu haben. Ein SPD-Abgeordneter spottet: „Orban hat bei der EVP die Rolle des immer betrunkenen Onkels, der notorisch die Familienfeste stört“. Bei den Christdemokraten hoffen etliche, dass EVP-Chef Joseph Daul mit den anderen mächtigen EVP-Politikern, also Angela Merkel, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker, erkennt, dass Orban ihnen mehr schadet als nützt. Doch bislang deutet nichts auf einen Fidesz- Rauswurf hin. Daher werden wohl vorerst die ungarischen EU-Gegner im Parlament auch noch mitten unter entschiedenen Pro-Europäern sitzen.

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) bezeichnet die „träge Passivität“ in Berlin und in der EVP indes als „skandalös“. Lambsdorff fordert, Deutschland solle sich in Brüssel für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn starkmachen. Mit einem Rechtsstaatsverfahren kann die EU-Kommission darauf reagieren, wenn sie in einem Mitgliedsland schwerwiegende Verletzungen der EU-Grundwerte feststellt. Die Regularien sehen vor, dass schlimmstenfalls einem EU-Land die Stimmrechte entzogen werden können.

Allerdings wird gerade der EU vorgeführt, wie frustrierend so ein Rechtsstaatsverfahren sein kann. Im Fall von Polen hat sie es nämlich eingeleitet, längst hat es sich aber totgelaufen und erschöpft sich im Austausch von diplomatischen Noten. Daher gibt es in Brüssel kaum die Neigung, sich noch ein zweites Verfahren mit Ungarn aufzubürden. Im Fall von Polen fordert die Europa-Expertin im Bundestag, Franziska Brantner (Grüne), jetzt die Bundesregierung auf, mehr Druck auszuüben. Die Sache müsse unverzüglich im Ministerrat auf die Tagesordnung gebracht werden, „wo sie schon längst hätte aufgerufen werden müssen“, sagte Brantner im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

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