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Bundestagspräsident Norbert Lammert.

© Tobias Schwarz/Reuters

Kooperationsverbot in der Bildungspolitik: Norbert Lammert regt die SPD auf

Der oberste Parlamentarier ist unglücklich mit einigen Verfassungsänderungen und verteidigt das Kooperationsverbot. Die SPD will es aufbrechen. Aber geht es überhaupt um Bildungspolitik?

Der Bundestagspräsident ist erbost. Norbert Lammert gefällt der Kompromiss zu den Bund-Länder-Finanzen und der damit verbundenen Autobahngesellschaft nicht, auf den sich die Koalitionsfraktionen am Mittwoch verständigt hatten. In der Sondersitzung der Unions-Fraktion am Donnerstag machte er Bedenken geltend, die man als Kombination aus seinem verfassungsästhetischen Empfinden und seinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen bezeichnen kann. Lammert teilte seinen Entschluss, dem Koalitionskompromiss nicht zuzustimmen, auch mehreren Zeitungen mit. Zum ersten: Lammert nennt die die Zahl der Grundgesetzänderungen, die mit dem Paket verbunden sind, und deren Form „eine Zumutung“. Zum zweiten: Der oberste Parlamentarier Deutschlands erkennt in dem ungewöhnlich kompakten Gesetzeskonstrukt einen massiven Zentralisierungsschritt, der dem Föderalismus schadet – statt der Entflechtung zwischen Bund und Ländern, die mit der Föderalismusreform von 2006 angestrebt worden war, komme es nun zum glatten Gegenteil. „Wir laufen sehenden Auges in einen Zentralstaat“, sagt Lammert. Als Beispiel nennt er das grundgesetzliche „Kooperationsverbot“ im Bildungsbereich, also die Vereinbarung, dass der Bund sich nicht in die Schulpolitik der Länder mischt.

Das kommt daher, dass die SPD-Bundestagsfraktion das Aufbrechen des Kooperationsverbots als einen der Skalps betrachtet, die sie in dem Verhandlungsgefecht mit Ländern und Bundesregierung errungen hat. Unter dem Aufbrechen versteht sie, dass der Bund künftig ganz gezielt Mittel zur Sanierung von Schulgebäuden in finanzschwachen Kommunen bereitstellen darf. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verkündete das stolz als großen Durchbruch (obwohl der Bund schon etwas länger Schulbaumaßnahmen zur energetischen Sanierung mitfinanziert).

Ist Toilettensanierung Bildungspolitik?

Freilich hatte der SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, die Vereinbarung zur Bundesmitfinanzierung von Schulbausanierungen mit dem Argument verteidigt, damit werde das Kooperationsverbot gerade nicht angetastet. Einige Ministerpräsidenten hatten das befürchtet, allen voran der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Die entscheidende Frage ist: Gehören das Dämmen von Wänden, das neue Schuldach, das Austauschen einer Heizung, das Sanieren der Toiletten zur Bildungspolitik?  Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg meint, das sei nicht so, weshalb das Kooperationsverbot „nicht angeknackst“ worden sei. Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus sagt zu Lammerts abweichendem Verhalten, die Fraktion sei eben diskussionsfreudig. Im Übrigen sei das mit den vielen Grundgesetzänderungen „nicht so dramatisch wie es möglicherweise scheint“. Rehberg betont, die meisten Verfassungsergänzungen dienten der Stärkung der Rechte des Bundestags.

Der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs gesteht Lammert mit Blick auf die neuen Formulierungen im Grundgesetz zwar zu, dass man „über die Länge der Sätze und deren Schönheit“ schon streiten könne. Ansonsten aber machen die Sozialdemokraten in Empörung über den Bundestagspräsidenten. Die Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht sagte: „Es ist beschämend, dass sich ausgerechnet Bundestagspräsident Norbert Lammert offen gegen die Kofinanzierung bedürftiger Kommunen im Bildungsbereich durch den Bund ausspricht.“ Offensichtlich sei ihm „Prinzipienreiterei“ wichtiger als die Sanierung maroder Schulen und gute Lernbedingungen für alle Kinder. „Mit dieser rückwärtsgewandten Haltung ist die Bildungsrepublik Deutschland jedenfalls nicht auf den Weg zu bringen.“

Will Schulz einen Irrtum beenden - oder begeht er einen?

Tags zuvor schon hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz das Kooperationsverbot als einen „in Verfassungsrecht gegossenen Irrtum“ bezeichnet und damit den Anspruch seiner Partei unterstrichen, irgendwann einmal Bundesschulpolitik von Berlin aus zu machen, mit allen möglichen Risiken und Nebenwirkungen wie zum Beispiel Abwahl im Fall einer nationalen Stundenausfallkrise. Den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Hans-Günter Henneke, wie Lammert ein Mann mit verfassungspolitischem Kompass, hat das zu einem Kommentar bewogen. „Es ist schon kurios, wie Herr Schulz die letzte Bastion der Länderverantwortung, nämlich die für die Bildungspolitik, zur Disposition stellt“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wer hier derart laut nach dem Bund als Heilsbringer für Schulen und Kitas ruft, opfert nicht weniger als den Kernbereich der Gestaltungsmöglichkeiten der Länder.“ Verheerend wäre eine Bundesverantwortung in Bildungsfragen aus seiner Sicht auch deshalb, „weil fortan die Länder die Last los wären, sich mit eigenen Mitteln um eine konkurrenzfähige Schulinfrastruktur zu bemühen“. Damit käme es letztlich zu einem „Wettbewerb der Länder nach unten“.

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