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Kopenhagen: Klimakonferenz: Die Schrecken vor dem Ende

Die Klimakonferenz in Kopenhagen taumelt dem Abschlusstag entgegen, die Politiker der großen Länder sollen jetzt noch schnell etwas bewegen – doch der Zwischenstand der Verhandlungen ist so trostlos wie das Tagungszentrum.

Sie haben ihr Abluftsystem modernisiert, Wände isoliert, Fenster präpariert, Einweggeschirr aussortiert, Mitarbeiter instruiert, Flatscreens installiert, somit ihren Kohlendioxidausstoß innerhalb von zwei Jahren um 20 Prozent reduziert – und dann für ihr Konferenzgebäude die Umweltschutzplakette „Green Key“ bekommen. Das Bella Center in Kopenhagen ist also ein idealer Ort für eine Klimakonferenz. Aber er ist mit 77 000 Quadratmetern Fläche auch recht klein und hat nur einen Chef.

Das verhält sich mit dem Rest der Welt anders. Der ist mit 510 Millionen Quadratkilometern Fläche eher riesig und hat mehr als 190 Chefs mit sehr unterschiedlichen Interessen, was einvernehmliche Lösungen erschwert.

Am Donnerstag hängt im Bella Center am verlassenen Stand des kleinen pazifischen Inselstaats Tuvalu eine Bastmatte, in die der Text eingewebt ist: „Unsere Insel, unsere Zukunft. Tuvalu“. Ein Zettel klebt daran, auf dem „zu verkaufen“ steht. Das stimmt natürlich nicht, soll aber neugierig machen. „Wir wollen nicht verschwinden“, sagt Tuvalus Premierminister Apisai Ielemia, ein massiger Mann im graugedeckten Anzug. Deshalb werde er keinem Abkommen zustimmen, das nicht zum Ziel hat, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu halten. Einen Plan B hätten sie nicht, sagt Apisai Ielemia. Wenn das Wasser steigt, gehen seine Inseln, seine Leute unter. So sieht es aus. Er lächelt freundlich.

Seit die als „bedeutendste Klimakonferenz aller Zeiten“ angekündigte Sitzung, die an diesem Freitag zu Ende gehen wird, vor dann zwölf Tagen begann, wurden die Hoffnungen auf einen Durchbruch täglich kleiner, verloren sich die Teilnehmer im Klein-Klein von Verfahrensstreitigkeiten und Formulierungen, gelegentlich unterbrochen von Wutausbrüchen der Vertreter kleiner Länder, denen wie Ielemia aus Tuvalu nicht nur im übertragenen Sinn das Wasser bis zum Hals steht.

Vor den Türen des Kongresszentrums spukten dazu in den vergangenen Tagen verkleidete Aktivisten als apokalyptische Reiter herum, prügelten Polizisten auf Demonstranten ein, das war alles sehr undänisch. Und drinnen im Schein energiesparender Deckenlichter fast irreal.

Am Donnerstagvormittag dann ist die große Eingangshalle des Bella Center leer. Dutzende Stände von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Konzernen sind verwaist. Es ist kalt im Messezentrum und so trostlos wie der Verhandlungsstand. In den Tagen zuvor haben hier tausende Umweltschützer und Unternehmensvertreter aus aller Welt über die Folgen des Klimawandels und einen Weltvertrag debattiert. Hier traf die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai auf Siemenschef Peter Löscher, schwedische Prinzessin Victoria oder sogar den britischen Thronfolger Prince Charles. Hier saßen tansanische Massai in traditionellen Gewändern mit Indios aus Bolivien in ihren bunten weiten Röcken zusammen und tauschten sich mit Hilfe sprachkundiger NGO-Vertreter über ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel aus.

Am Donnerstag, dem Tag, an dem die ganz großen Namen, Präsidenten, Diktatoren und Despoten, anreisten, wollte man dieses Treiben nicht mehr. Das UN-Klimasekretariat organisierte für die Weltzivilgesellschaft eine alternative Konferenz – weit weg von den rund 120 Staats- und Regierungschefs, die am Donnerstag und Freitag eintreffen, um den Gipfel doch noch zu retten. Am Vorabend hat UN-Klimachef Yvo de Boer gesagt, es sei seine Verantwortung, dass die Exzellenzen „nicht direkt mit Demonstrationen und Protest konfrontiert werden“. Später revidierte er das, ließ auch die zunächst ausgesperrte Presse wieder zu.

Sie zeichnet also auf und verbreitet, dass Venezuelas Präsident Hugo Chavez findet, der Klimawandel sei der Beweis, dass der Kapitalismus geradewegs in die Hölle führe. Dass Simbabwes Diktator Robert Mugabe sich beim dänischen Regierungschef für die „Gastfreundschaft“ der Dänen bedankt. Dass der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad seine drei Minuten Redezeit vor allem für ein ausführliches Lob auf Allah nutzt, bevor er zur Sache kommt.

Nicht so richtig zur Sache kamen – ihrer Meinung nach – die Entwicklungs- und Schwellenländer. Immer zorniger und verbitterter war die Kritik aus der Gruppe der G 77 geworden. „Lasst uns das Theater abbrechen“, rief in der Nacht der Chefdelegierte von Mauritius vor dem Plenum aus. Ebenso bitter äußerten sich andere Sprecher Afrikas, ehe sie durch die kalte Kopenhagener Nacht in ihre Hotels verschwanden. Über eine parteiische Verhandlungsführung durch die Dänen hatten die G 77 sich auch beschwert.

Auch die Schilderungen der Nöte aus Tuvalu prallen an den zwei schwierigsten Verhandlungspartnern in Kopenhagen ab. Die US-amerikanische Delegation hat sich tagelang in ihrer Position eingegraben, dass sie nur dann einem verbindlichen Abkommen zustimmen will, „wenn alle wirtschaftlich wichtigen Staaten hinter bedeutenden Maßnahmen zur Verringerung ihrer Emissionen stehen“, wie Außenministerin Hillary Clinton sagte. China dagegen beharrt darauf, dass nur die Industriestaaten rechtlich verbindliche Klimaziele übernehmen, während Schwellenländer ihre Angebote unverbindlich machen dürfen.

Der Präsident der immer flacher im steigenden Wasser liegenden Malediven, Mohamed Nasheed, barmt, als er vor die Konferenz tritt: „Es geht um Leben und Tod.“ Doch keiner scheint es ernst zu nehmen. Dann lobt und schmeichelt er. Den USA traut er genug „technologische Kreativität“ zu, um ihren Treibhausgasausstoß schneller und weiter zu senken, als sie das bisher anbieten – bis 2020 minus drei Prozent im Vergleich zu 1990. Und China ruft er werbend zu: „Wenn China Führungsstärke zeigt, werden andere folgen.“

Der äthiopische Premierminister Meles Zenawi macht für die meisten Afrikaner ziemlich überraschend einen realistischen Finanzierungsvorschlag. Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der sich der Welt offenbar sehr erfolgreich präsentierte und in mehrere Gremien geladen wurde, beschreibt die Bemühungen der kleinen Inselstaaten und der Afrikaner später so: „Die haben am meisten zu verlieren, wenn es kein Abkommen gibt.“

Die und wir.

Die einen, die armen Länder, die wissen, was Ernteausfälle, was Überschwemmung oder Dürre ist, die Hunger kennen und Not. Und wir, die reichen Länder, die allein Angst um ihr Geld zu haben scheinen. Die jedenfalls von all dem Schrecken, der in Kopenhagen immer wieder geschildert wird, nur am Rande betroffen sind.

Kein Wunder, dass sich Yvo de Boer freut, als am Nachmittag des vorletzten Gipfeltages dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) anreist. Sie sei eine „Klimakämpferin von Format“, sagt er und beschreibt ihre Beteiligung am ersten Weltklimagipfel in Berlin, am Kyoto-Protokoll und dem EU-Gipfel 2007, der sich auf das europäische Klimaziel geeinigt hatte: 20 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990, 30 Prozent, wenn andere Industriestaaten mitziehen.

Merkel im hellblauen Jackett tritt aber kein bisschen kämpferisch auf, eher beschwörend. „Wir haben die Kraft“, der mehrfach totgesagte Gipfel könne ein Erfolg werden, „wenn wir alle nur ein bisschen mehr anbieten.“ Also appelliert sie an die Bremser, verlangt Zusammenstehen wie in der Finanzkrise und benennt klar Täter und Opfer: Die Industriestaaten hätten das Klimaproblem verursacht, gibt sie zu. „Aber wir können es nicht allein lösen.“ Damit trifft Merkel den Ton.

Ob das genügt, um die USA und China in einen verbindlichen Klimavertrag einzubinden, wird sich erst am Freitag entscheiden, wenn der amerikanische Präsident Barack Obama in Kopenhagen ankommt. Aber Yvo de Boer ist überzeugt, dass Merkel auf diesem Weg eine „bedeutende Rolle spielen kann“.

Niemand werde den Gipfel hungrig verlassen, hatte der Koch des Bella Center vor Gipfelbeginn versprochen. Aber damit nur das Essen gemeint.

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