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Politik: Kopflose Niederländer

Regierungskrise in Den Haag / Nach Wahl noch keine neue Koalition / Ministerin kündigt Rücktritt an

Die politische Situation in den Niederlanden ähnelt immer mehr einer tragischen Komödie. Seit den Wahlen vor drei Wochen versucht Premierminister Jan Peter Balkenende vergeblich, eine neue Koalition aufzustellen. Doch seine Christdemokraten haben bisher kein Glück. Anfang dieser Woche sprangen die linken Sozialisten endgültig als mögliche Koalitionspartner ab. Balkenende muss neu auf Suche gehen – vermutlich bei der Christen-Union. Klar scheint bisher nur, dass die Sozialdemokraten am neuen Kabinett beteiligt werden. „Wahrscheinlich zieht sich die Regierungsbildung noch zwei bis fünf Monate in die Länge“, vermutet ein Beobachter in Den Haag.

Und als wäre das nicht genug, läuft Balkenende jetzt auch sein Noch-Koalitionspartner, die rechtsliberale VVD, davon. Mit der sollte der Premier eigentlich weiterregieren, bis sich ein neues Kabinett gefunden hat. Aber die eigensinnige, rechtsliberale Integrationsministerin Rita Verdonk machte Balkenende einen Strich durch die Rechnung. Wegen ihrer harten Haltung gegenüber illegalen Einwanderern sprach ihr das Parlament in der Nacht zum Mittwoch das Misstrauen aus.

Verdonk wollte einen Beschluss der Abgeordneten nicht akzeptieren, der ungefähr 26 000 bereits abgelehnten Asylbewerbern, die vor 2001 in die Niederlande gekommen sind, Bleiberecht zusichern soll. Dabei geht es vor allem um Menschen, die bereits gut integriert in den Niederlanden leben. „Ihre Kinder gehen in niederländische Schulen. Sie sprechen nur niederländisch“, sagt der Politikwissenschaftler André Krouwel, der sich an der Freien Universität Amsterdam mit Integrations- und Einwanderungspolitik beschäftigt. Die neue linke Mehrheit im Den Haager Parlament hatte einen vorläufigen Abschiebestopp für diese Gruppe gefordert, Rita Verdonk hat das aber abgelehnt – vor allem mit dem Hinweis auf zusätzliche Kosten für die Staatskasse von rund 200 Millionen Euro.

„Die Ministerin ist zu weit gegangen“, sagte der sozialistische Abgeordnete Jan De Wit. Gemeinsam mit den anderen linken Parteien sprachen die Sozialisten der Noch-Ministerin ihr Misstrauen aus. Bereits vor den Neuwahlen hatten die linken Parteien Verdonk zum Rücktritt zwingen wollen, waren aber an der konservativen Mehrheit gescheitert. Damals kritisierten sie die harte Haltung Verdonks gegenüber der ehemaligen Abgeordneten Ayaan Hirsi Ali. Weil diese bei ihrem Asylantrag falsche Angaben gemacht hatte, wollte die Ministerin sie kurzerhand ausweisen.

Verdonk kündigte noch im Parlament ihren Rücktritt an. Und aus ihrer Partei verlautete, alle ihre Minister würden der Koalition nun den Rücken kehren. Bei Redaktionsschluss war noch nicht klar, wie Balkenende nun weiterregieren will. Der Premier sprach von einer „Verfassungskrise“.

Ruth Reichstein[Brüssel]

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