zum Hauptinhalt
 Pionierin: Fereshta Ludin klagte 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht.

© dpa/Uli Deck

Kopftuch in Gerichtssälen: "Frauen mit Kopftuch machen Erfahrungen wie Frauen in den 70er Jahren"

Die CSU tagt ab heute im Kloster Seeon. Sie will Richterinnen und Staatsanwältinnen das Kopftuch verbieten. Rechtsprofessorin Nora Markard erklärt, warum das nicht zu Geist und Buchstaben des Grundgesetzes passt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen der letzten Jahre festgestellt, dass man Lehrerinnen und Erzieherinnen das Kopftuch nicht so einfach verbieten kann. Ginge es für Juristinnen mit Kopftuch?

Grundsätzlich würde ich sagen: Nein. Für sie müsste wohl Gleiches gelten. In der Schule wie vor Gericht geht es nicht darum, dass der Staat sich mit Symbolen identifiziert, sondern dass er die individuelle Äußerung einer konkreten Person akzeptiert. Das Verfassungsgericht hat dies zugunsten der Religionsfreiheit gelöst und dabei auch definiert, wo diese ihre Grenzen hat – zum Beispiel in der negativen Religionsfreiheit von Kindern und im Erziehungsrecht der Eltern. Das Gericht hat aber klar gesagt, dass diese Rechte und auch die staatliche Neutralität nicht schon dadurch beeinträchtigt sind, dass man mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit einer anderen Person konfrontiert ist. Auch der Schulfrieden ist nicht bereits abstrakt durch Kopftücher gefährdet, es muss vielmehr eine konkrete Beeinträchtigung vorgebracht werden. Das müsste für Richterinnen, Staatsanwältinnen oder Referendarinnen mit Kopftuch genauso gelten.

Nun kann man sagen: An deren Neutralität sind die Ansprüche eher höher als an eine Lehrerin, sie sprechen Recht.  

 So kann man argumentieren, auch damit, dass Richterinnen und Richter deswegen Roben tragen, eine neutrale Einheitskleidung. Das halte ich aber nicht für überzeugend. Es ist von nicht wenigen Richterinnen und Richtern bekannt, dass sie stark religiös geprägt sind und kirchliche Ämter innehaben oder -hatten. Ob man das nun aus der Zeitung weiß oder an einem Kopftuch erkennt, macht keinen Unterschied.

Aber Angeklagte könnten die Richterin deswegen für befangen halten.

Dafür gibt es aber schon längst Verfahren, die keineswegs für das Kopftuch erfunden wurden. Eine Richterin oder ein Richter kann nicht nur abgelehnt werden, sondern sogar für sich entscheiden, dass sie sich wegen möglicher Befangenheit selbst aus einem Verfahren zurückzieht. Wir haben da Mittel genug.

Nora Markard ist Juniorprofessorin für Öffentliches und Völkerrecht in Hamburg. Eins ihrer Fachgebiete sind Geschlechterstudien, zusammen mit der Richterin am Bundesverfassungsgericht, Susanne Baer, veröffentlichte sie auch zum Kopftuchstreit.
Nora Markard ist Juniorprofessorin für Öffentliches und Völkerrecht in Hamburg. Eins ihrer Fachgebiete sind Geschlechterstudien, zusammen mit der Richterin am Bundesverfassungsgericht, Susanne Baer, veröffentlichte sie auch zum Kopftuchstreit.

© Steffen Weigelt

Umgekehrt gefragt: Könnte die Richterin oder Staatsanwältin mit Kopftuch integrierende Wirkung haben?

Sie könnte jedenfalls der lebende Beweis für die Richtigkeit einer Grundannahme unseres Grundgesetzes sein: Dass nämlich Religion mit Demokratie und Rechtsstaat vereinbar ist. In der katholischen Kirche zum Beispiel dürfen Frauen keine hohen Funktionen einnehmen. Das ist mit dem  Gleichheitsartikel des Grundgesetzes nicht vereinbar. Dennoch nehmen wir an, dass auch ein gläubiger katholischer Richter sich an die Gesetze hält. Wir haben eben gerade keine laizistische Tradition, das Recht der Bundesrepublik eröffnet Religion Raum. Gerade in Deutschland sollte es also auch für Musliminnen die Möglichkeit geben, gleichzeitig im Einklang mit dem Recht und ihrer Religion zu leben. Selbst in Großbritannien mit seiner anglikanischen Staatskirchentradition kann ein Sikh am High Court Recht sprechen. Er trägt dabei einen Turban.

Wie viele kopftuchtragende Juristinnen gibt es überhaupt?

Das ist schwer zu sagen. Als ich kürzlich im Hamburger Justizprüfungsamt anrief, hieß es dort, man habe noch keinen Fall einer Referendarin mit Kopftuch gehabt. Das hat mich erstaunt, ich habe selbst Studentinnen, die ein Kopftuch tragen. Von einer Richteranwärterin mit Kopftuch weiß ich nichts. Vielleicht spielt da auch Selbstselektion eine Rolle; man könnte auch von präventiver Diskriminierung sprechen. Derzeit muss jede kopftuchtragende Jura-Studentin befürchten, dass sie im Staatsdienst aufs falsche Pferd setzen würde. Einige müssen auch Erfahrungen machen, die denen ähneln, die Frauen in Männerdomänen in den 70er Jahren machen mussten. Etwa wenn man in der mündlichen Staatsprüfung von einem Prüfer aus dem Ministerium gefragt wird, ob man unter dem Kopftuch überhaupt etwas hören kann. Hier ein „dickes Fell“ zu beweisen, ist auf Dauer sehr anstrengend.

Was halten Sie davon, dass eine Partei Kopftücher vor Gericht verbieten will, die die Kruzifixe in jedem bayerischen Gerichtssaal unbedingt erhalten will?

Ich kenne das Argument, christliche Symbole – und man nimmt ja gern auch noch jüdische hinzu – stünden nicht für eine bestimmte Religion, sondern für abendländische Werte. Dann kann man aber nicht muslimischen Juristinnen, die sich zu genau diesen Werten bekennen, aufgrund des Kopftuchs dieses Bekenntnis generell absprechen. Mich überzeugt das Argument aber ohnehin nicht. Dem neutralen Staat religiöse Äußerungen zu erlauben und sie dem Individuum mit Verweis auf die Neutralität zu verbieten, das ist Heuchelei.

Zur Startseite