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Vielfalt am Arbeitsplatz - Kopftuchträgerinnen sind oft ausgeschlossen. Fachleute halten das Tuch für einen stärkeren Diskriminierungsgrund als Alter, Geschlecht oder Behinderung.

© imago

Kopftuch und Arbeitsmarkt: Erst der Staatsdienst, dann die Wirtschaft

Frauen mit Tuch dürfte es nach dem EuGH-Urteil noch schwerer fallen, eine Stelle zu finden. Viele Unternehmen wollen sie inzwischen so wenig wie der Staat.

Die Arbeitgeber, um deren Rechte es auf den ersten Blick ging, sehen sich durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Kopftuch am Arbeitsplatz gestärkt. „Richtig“, nannte ein Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände das Luxemburger Urteil. Arbeitgeber müssten das Recht haben, „eine Arbeitsordnung erlassen (zu) können, die politische, philosophische oder religiöse Neutralität gegenüber den Kunden gewährleistet“. Er mahnte gleichzeitig, dieses Recht maßvoll zu nutzen: „Vielfalt ist den deutschen Arbeitgebern wichtig.“ Jeder werde „verantwortungsvoll entscheiden, ob eine Arbeitsordnung notwendig ist.“ Von den Gewerkschaften war am Dienstag keine Stellungnahme zu erhalten, weder der DGB noch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wollten sich auf Anfrage äußern.

Antidiskriminierungsstelle sieht Probleme durch Urteil wachsen

Dabei geht es natürlich in der Frage nicht nur um ein Arbeitgeber-Weisungsrecht, sondern auch um Arbeitnehmerinnenrechte. Und da zeigt sich, dass die gute Absicht im Alltag oft zuschanden wird, wie Studien und immer neue Klagen gegen Kopftuchverbote auch in der Privatwirtschaft zeigen. Auf einer Tagung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) im Mai 2016 hielten Praktikerinnen und Wissenschaftlerinnen fest, „die Ablehnung des Kopftuches durch Arbeitgebende sei vielfach bereits salonfähig geworden“ – obwohl dies gegen das Gesetz sei: „Staatliche Neutralität gilt nicht in Privatunternehmen.“ Religion sei ein stärkeres Hindernis auf dem Arbeitsmarkt als Alter, Behinderung oder Geschlecht. Auch die Jobcenter berieten Frauen mit Kopftuch nicht im Sinne des Rechts, sondern würden ihnen empfehlen, das Tuch abzulegen. Nach dem Urteil sieht die Leiterin der ADS, Christine Lüders, neue Probleme für muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen. Durch die Luxemburger Entscheidung könne es für sie „noch schwerer werden, in den Arbeitsmarkt zu kommen“, erklärte Lüders und appellierte an Arbeitgeber, sie sollten sich „gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuchverbote in ihrer Personalauswahl einschränken wollen“. Sie würden damit auf etliche qualifizierte Beschäftigte verzichten.

Qualifiziert, aber mit Tuch praktisch chancenlos

Das geschieht offenbar nicht nur ausnahmsweise: Die junge Berliner Muslima, die 2012 eine Klage gegen einen Arzt gewann, der ihr des Kopftuchs wegen keine Ausbildungsstelle geben wollte, fasste die Lage für Frauen wie sie so zusammen: „Eine Freundin von mir hatte sich schon bei einem Allgemeinmediziner beworben und wurde abgelehnt; er hatte es ihr klar gesagt. Eine andere arbeitete in einem Schuhgeschäft, entschied sich irgendwann, das Kopftuch zu tragen, und wurde entlassen. Eine dritte hat sich sehr oft beworben, sie hat drei Ausbildungen absolviert, eine davon als Fremdsprachenkorrespondentin. Sie ist arbeitslos.“
Was die junge Frau berichtete, bestätigte im Oktober letzten Jahres eine Studie der Volkswirtschaftsprofessorin Doris Weichselbaumer von der Uni Linz. In einem Feldversuch prüfte Weichselbaumers Team Reaktionen auf Bewerbungen. Wurde sie von einer fiktiven „Sandra Bauer“ geschickt, erhielt sie in 18,8 Prozent der Fälle eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Hieß die Absenderin Meryem Öztürk, sank die Rate bereits auf 13,5 Prozent. Trug die Bewerberin auf dem Foto in ihren Unterlagen zudem ein Kopftuch, schoss die Rate positiver Antworten nach unten, auf 4,2 Prozent – bei jeweils gleich guter Qualifikation. Für eine Einladung brauchte die junge Frau mit Kopftuch beinahe fünfmal so viele Bewerbungen. Größe oder Internationalität der Firmen, so die Forscherin, machten dabei keinen Unterschied.

Diskriminierung funktioniert "vorbeugend"

Für Juristinnen und den öffentlichen Dienst machte die Hamburger Jura-Professorin und Geschlechterforscherin Nora Markard eine „Selbstselektion“ aus, die Diskriminierung wirke sogar präventiv. Viele würden sich gar nicht erst bewerben, weil sie fürchten müssten, dass sie „im Staatsdienst aufs falsche Pferd setzen“. Manche Frauen mit Kopftuch machten heute Erfahrungen wie „Frauen in Männerdomänen in den 70er Jahren.“
Offenbar handeln öffentlicher Dienst und in der Folge auch private Unternehmen ganz anders, als die Mehrheit der Gesellschaft handeln würde. In einer repräsentativen Umfrage 2015 für das baden-württembergische Integrationsministerium erklärten 62 Prozent der Befragten, ihnen sei es egal, ob muslimische Frauen Kopftücher tragen würden, 31 Prozent fanden dies dagegen „nicht gut“. Fragt man die jungen Menschen, ist die Toleranz noch deutlich größer. In einer Umfrage, die das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung 2015 durchführte, fanden 71 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in Deutschland, dass Lehrerinnen im Unterricht das Recht auf das Tragen eines Kopftuchs haben sollten.

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