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Kopftuchverbot: Oben ohne – oder?

Der Streit um die Aufhebung des Kopftuchverbots spaltet die Türkei. Hunderttausende demonstrierten dagegen.

Der Kopftuchstreit in der Türkei eskaliert. Nachdem am Wochenende mehr als hunderttausend Menschen in Ankara gegen die geplante Aufhebung des Kopftuchverbots für Studentinnen demonstrierten, warf Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Gegnern vor, sich einen laizistischen Alleinvertretungsanspruch anzumaßen und damit das Land zu spalten. Für den Tag der anvisierten Schlussabstimmung des türkischen Parlaments über die Kopftuchfreiheit am kommenden Samstag sind neue Massenproteste geplant. Die Türkei gehe „Schritt für Schritt ins Chaos“, kommentierte die Zeitung „Milliyet“ am Sonntag.

Die Protestkundgebung am Mausoleum von Staatsgründer Atatürk in Ankara glich den Demonstrationen des vergangenen Jahres, bei denen sich Regierungsgegner gegen die Wahl von Abdullah Gül zum Staatspräsidenten gewandt hatten. Wie bei den damaligen Kundgebungen gingen wieder viele Vertreter des kemalistischen Bürgertums und der Beamtenschaft auf die Straße, die sich auf Mustafa Kemal Atatürk berufen. Und wie bei den Kundgebungen gegen Gül sagten Demonstrationsteilnehmer auch diesmal, sie befürchteten, dass die Türkei zu einem islamistischen Gottesstaat gemacht werden solle. „Wir sind hier, weil wir die Zukunft der Republik in Gefahr sehen“, sagte Arif Cemal Aydin, ein pensionierter Lehrer.

Die Kemalisten sorgen sich, dass die geplante Kopftuchfreiheit für Studentinnen der Beginn einer Islamisierungswelle sein wird. Dagegen argumentieren Erdogan und die in der Kopftuchfrage mit ihm verbündete Nationalistenpartei MHP, es gehe lediglich um die Beseitigung eines Missstandes. Zudem werde das Kopftuchverbot für Schülerinnen und Beamtinnen in Kraft bleiben. Kopftücher sind auch Studentinnen in der Türkei seit Ende der achtziger Jahre verboten. Laut Umfragen befürwortet eine große Mehrheit der türkischen Wähler eine Aufhebung des Verbots; zwei von drei Türkinnen bedecken ihr Haar.

Erdogan warf seinen Gegnern vor, die Grenzen des Laizismus in der Türkei alleine abstecken zu wollen. Die Kemalisten wollten jeden zum Feind ausrufen, der sich nicht so kleide wie sie selbst. Auch Frauen im Kopftuch und fromme Muslime seien Anhänger der säkularen Staatsordnung, sagte der Premier in Istanbul.

Da Erdogans Regierungspartei AKP und die MHP im Parlament gemeinsam über etwa vier Fünftel der Mandate verfügen, wird in den kommenden Tagen mit einer reibungslosen Verabschiedung der geplanten Verfassungsänderungen zur Freigabe des Kopftuchs gerechnet. Nach Presseberichten könnten dann Anfang März erstmals Kopftücher an den Universitäten zu sehen sein. Die Kemalistenpartei CHP will allerdings Verfassungsbeschwerde gegen die Novelle einlegen.

Anders als beim Präsidentenstreit des vergangenen Jahres gibt es in der Kopftuchdebatte bisher kaum Forderungen nach einem Eingreifen der kemalistisch eingestellten Militärs. Die Armee hatte in den vergangenen Tagen zwar deutlich gemacht, dass sie gegen eine Freigabe des Kopftuches ist. Offenbar wollen sich die Generäle zumindest derzeit aber nicht offen in den Streit einmischen.

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