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Kosovo: Verträge statt Versöhnung

Der Internationale Gerichtshof prüft die Unabhängigkeit des Kosovo – die ethnischen Konflikte auf dem Balkan kann er nicht lösen.

Die Sandsäcke sind erst einmal verschwunden, die Soldaten dahinter auch. Die Brücke über der Ibar in der kosovarischen Stadt Mitrovica ist wieder frei, und dennoch traut sich kaum jemand, sie zu passieren. Denn: Nördlich des Flusses wohnen vor allem Serben, im Süden haben Albaner ihre Häuser. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 kam es im Nordteil der Stadt zu schweren Ausschreitungen. Um eine direkte Konfrontation zwischen den Volksgruppen zu verhindern, riegelte die internationale Friedenstruppe Kfor die Brücke ab. Inzwischen ist die Lage zwar weit weniger explosiv, doch von einem friedlichen Miteinander kann im Kosovo nicht die Rede sein.

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag begann am Dienstag eine Anhörung zum Kosovo. Serbien hatte das UN-Gericht angerufen, um die Unabhängigkeitserklärung seiner früheren Provinz völkerrechtlich prüfen zu lassen. Bis zum 11. Dezember sollen Vertreter des Kosovo, Serbiens und 29 weiterer Staaten Stellungnahmen abgegeben, danach schreibt das Gericht ein Gutachten. Rechtlich bindend ist die Entscheidung allerdings nicht – und die Probleme des Alltags kann ohnehin kein Gericht lösen.

Überall auf dem Balkan schwelen weiter ethnische Konflikte, denen die internationale Gemeinschaft hilflos gegenübersteht. Ihre Politik hat bisher sogar eher dazu beigetragen, ethnische Grenzen zu zementieren. So handelte die frühere UN- Verwaltung des Kosovo einen Sechs- Punkte-Plan mit Serbien aus, der den Serben in Mitrovica eine eigene Polizei und Gerichtsbarkeit zugesteht. Mehrere serbische Gemeinden im Süden des Landes können sich künftig selbst verwalten. „Die Dezentralisierung ist ein echtes Angebot an die Serben im Kosovo“, erklärte der Vertreter der EU und jener Staaten, die das Kosovo offiziell anerkannt haben und die Unabhängigkeit überwachen, Pieter Feith, vor Journalisten in Pristina.

Im benachbarten Mazedonien zeigt sich die Kehrseite dieser Politik. Seit dem Bürgerkrieg zwischen der dortigen albanischen Minderheit und den Mazedoniern 2001 gilt in dem Land ein von internationalen Vermittlern ausgehandeltes Abkommen, das unter anderem albanischen Kindern Unterricht in ihrer Muttersprache zubilligt. Die Folge: Albanische und mazedonische Kinder besuchen heute getrennte Klassen, meist geht die eine Gruppe morgens in die Schule, die andere am Nachmittag. „Die Kinder haben keinen Kontakt, Vorurteile werden so eher gefördert als abgebaut“, sagt Silke Maier- Witt vom Forum Ziviler Friedensdienst. Das frühere RAF-Mitglied betreut heute Versöhnungsprojekte in Mazedonien und versucht, Kinder und Jugendliche auf anderen Wegen zusammenzubringen – etwa bei einem Friedenslauf von Grundschülern oder in multiethnischen Sportligen.

Bis heute, sagt Maier-Witt, fehle vor allem in der Politik die Bereitschaft zur Versöhnung: „Die Spannungen steigen sogar wieder.“ Einer der führenden albanischen Politiker des Landes, Menduh Thaci, hat das multiethnische Experiment in Mazedonien bereits für gescheitert erklärt und seiner Partei einen Parlamentsboykott verordnet. Nicht ganz so weit geht Ali Ahmeti, dessen Demokratische Union für Integration (DUI) derzeit an der multiethnischen Regierung in der Hauptstadt Skopje beteiligt ist. Auch er wirft den Mazedoniern allerdings vor, das bisherige Abkommen nicht umgesetzt zu haben. So sei die albanische Sprache nicht überall anerkannt und Albaner nicht ausreichend in öffentlichen Ämtern vertreten.

Wer heute nach Tetovo, dem albanischen Zentrum Mazedoniens, reist, dem drängt sich allerdings die Frage auf, ob die Albaner an einer gemeinsamen Zukunft mit den Mazedoniern überhaupt interessiert sind. Überall in der Stadt wehen rote Flaggen mit dem doppelköpfigen schwarzen Adler des albanischen Nachbarn, mazedonische sucht man vergeblich. Auch in Ahmetis Hauptquartier fehlt sie. In dem Raum, in dem der frühere Rebellenführer ausländische Gäste empfängt, hat er neben der albanischen lediglich die Flaggen der EU, der USA, der Nato und die seiner Partei aufstellen lassen. Eine Lehre immerhin scheint er aus der Vergangenheit gezogen zu haben. Ahmeti: „Den Krieg haben wir ins Museum überstellt.“

Ulrike Scheffer[Pristina, Skopje]

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