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Politik: Kraft der Familie

In der Türkei und Ägypten gibt es weniger Gewalt durch junge Männer

Spätestens seit dem Fall des Realschülers Marco Weiss weiß die deutsche Öffentlichkeit, dass die türkische Justiz mit jugendlichen Verdächtigen nicht unbedingt zimperlich umgeht. Doch während in Deutschland die Debatte über ein schärferes Jugendstrafrecht tobt, ist Gewalt von Jugendbanden in der Türkei weitgehend unbekannt. Die dennoch vorhandene Jugendkriminalität ist häufig ein Armutsproblem. Anders als in Deutschland gibt es in der Türkei kein spezielles Jugendstrafrecht. Dennoch ist das Niveau der Jugendkriminalität in der Türkei weit niedriger als etwa in Deutschland, schätzt die türkische Stiftung für die Rehabilitation jugendlicher Straftäter.

Die meisten straffälligen Kinder und Jugendlichen sind Taschendiebe, die von organisierten Banden in die Großstädte gebracht werden. Tausende von Minderjährigen aus dem armen Kurdengebiet Ostanatoliens wurden so in den vergangenen Jahren zu Straftätern. Dass die Jugendkriminalität im internationalen Vergleich relativ niedrig ist, wird vor allem auf die in der Türkei generell noch sehr starke Bindekraft der Familie zurückgeführt.

Das allgemeine türkische Strafrecht sieht Strafnachlässe für Minderjährige vor; zusätzliche Regelungen finden sich im Kinderschutzgesetz. Grundsätzlich sind Kinder nach vollendetem zwölften Lebensjahr strafmündig. Für Täter im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren gilt, dass die per Gesetz vorgesehenen Strafen automatisch halbiert werden und sieben Jahre nicht überschreiten dürfen. Bei Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren gilt ein Strafabzug von einem Drittel. Die Zahl der Jugendgerichte ist mit unter 20 landesweit sehr niedrig. Dies zeigte sich auch beim Fall Marco Weiss: Weil es in Antalya kein Jugendgericht gibt, wurde der Fall vor dem Schwurgericht verhandelt. Insgesamt fehlen in der Türkei 4000 Richter und Staatsanwälte.

Auch in der arabischen Welt sind gewalttätige Jugendgangs oder jugendliche Seriengewalttäter weitestgehend unbekannt. Selbst Metropolen wie Kairo, wo hohe Arbeitslosigkeit und Armut herrschen, kennen kaum die Art von Jugendgewalt an der Deutschland mittlerweile leidet. Was in Ägypten unter Jugendkriminalität verstanden wird, sind zumeist Straßenkinder, die durch Betteln und Übernachten auf der Straße strafbar machen. In letzter Zeit richtet sich die Frustration junger, meist arbeitsloser Männer allerdings gegen Frauen: Sexuelle Belästigung im muslimischen Ägypten hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen, klagen Frauenvereine. Es gibt neuerdings auch kleinere Banden sudanesischer Jugendliche, die zumeist als Flüchtlinge aus Darfur in Kairo gestrandet sind. In den vergangenen eineinhalb Jahren soll es inoffiziell vier Tote durch Bandenkriege gegeben haben. Den Opfern werden Handys und andere Wertgegenstände abgenommen. „Das ist eine Jugendkultur, die bisher in der Hauptstadt unbekannt war“, kommentieren ägyptische Medien diese Entwicklung. Vermutet wird, dass starke Familien und die Einbindung in islamische Gemeinden gewöhnlich verhindern, dass sich Jugendliche zu Banden zusammenschließen.

Das ägyptische Jugendstrafrecht ermöglicht unter anderen die Festnahme von Kindern, einzig weil sie „für Kriminalität anfällig“ zu sein scheinen. Derlei Regelungen gibt es jedoch nicht für Erwachsene. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert deshalb, dass Kinder für Delikte belangt werden, die für Erwachsene keinen Straftatbestand darstellen. Auch wenn die Idee hinter diesem vagen Paragrafen der Schutz von Kindern ist, werden sie in der Praxis auf oft willkürliche Weise von der Polizei kriminalisiert, sagen Kritiker. Von 16 Jahren bis 18 Jahren sieht das ägyptische Recht keine rehabilitierende Maßnahmen vor, sondern lediglich niedrigere Strafen als für Erwachsene: Bei einem Verbrechen etwa, auf das allgemein die Todesstrafe steht, werden häufig mindestens zehn Jahre Gefängnis für einen Jugendlichen verhängt.

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