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Politik: Krankenkassen wehren sich gegen Fusionen

Ministerin Schmidt will Unternehmen auflösen – doch deren Lobby warnt vor Einmischung in den Wettbewerb

Berlin. Bei den Krankenkassen hat der jüngste Vorstoß von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die Zahl der Krankenkassen stark zu reduzieren, für Irritationen gesorgt. „Die Politik sollte sich nicht in den Wettbewerb der Kassen um die beste Versorgung einmischen“, sagte Herbert Rebscher, Vorstandschef des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) am Montag.

Schmidt hatte sich am Sonntag dafür ausgesprochen, die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen durch Fusionen drastisch zu reduzieren. Die Zahl könne auf ungefähr 50 Kassen verringert werden, sagte die Ministerin in der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“. Durch eine Organisationsreform wolle sie im kommenden Jahr Fusionen erleichtern. Dann könnten sich zum Beispiel Betriebskrankenkassen mit Ortskrankenkassen zusammenschließen. Dafür müssten gut 300 verschiedene Vorstände aufgelöst werden. „Da kann man wirklich sparen“, sagte die Ministerin. Derzeit können nur Kassen einer Art fusionieren, also etwa eine Betriebskrankenkasse mit einer anderen.

„Der Fusionsprozess bei den Betriebskrankenkassen läuft permanent“, sagte eine Sprecherin des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK). Von den rund 530 BKKs, die es 1996 bei der Öffnung des Marktes gab, seien ohnehin nur noch 270 übrig. „Wir müssen erst einmal im eigenen Laden sehen, dass wir die optimalen Kassengrößen erreichen“, sagte die Sprecherin. An einer Fusion etwa mit der AOK habe derzeit keine der Krankenkassen aus dem Verband Interesse. Die durchschnittlichen Beitragssätze der Kassenarten sind sehr unterschiedlich. Die BKKs gehören zu den günstigen Kassen.

Auch Gesundheitsökonom Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist skeptisch: „Die optimale Zahl der Krankenkassen sollte man dem Wettbewerb überlassen.“ Er empfiehlt der Gesundheitsministerin, in den kommenden Monaten ein Wettbewerbsmodell auszuarbeiten. „Wenn wir echten Wettbewerb zwischen den Kassen haben, wird es automatisch auch mehr Fusionen geben“, sagte der Gesundheitsökonom dem Tagesspiegel. Wissenschaftler sprechen sich schon seit langem für mehr Vertragsfreiheit aus: Kassen sollen Direktverträge mit Ärzten und Kliniken abschließen können. Dann werde auch die Qualität der Leistungen ein Kriterium. Derzeit sind Kollektivverträge zwischen den Kassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen die Regel. „Der Markt wird sich schlagartig bereinigen, wenn die Krankenkassen sich durch mehr Wettbewerb unterscheiden können“, sagte einer von Schmidts engsten Beratern, der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, dem Tagesspiegel. Es sei eine „absurde Situation“, dass Hunderte Krankenkassen ein im Prinzip identisches Versicherungsprodukt anböten. Lauterbach geht sogar davon aus, dass mittelfristig nur maximal 30 Kassen notwendig seien.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg fordert eine Organisationsreform „mit dem Ziel, die Nachfragemacht der Krankenkassen zu stärken“. Er sprach sich dafür aus, die Kassen gesetzlich zu verpflichten, sich auf Landesebene zu Arbeitsgemeinschaften zusammenzuschließen. Unterstützung für ihre Sparpläne erhielt Schmidt von AOK-Chef Hans-Jürgen Ahrens. Er sagte im NDR, die Kassen brauchten die Kostenentlastungen dringend. Schmidt will 3,5 Milliarden Euro einsparen.

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