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Fordert eine zügigere Umsetzung der Energiewende: Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

© dpa

Kretschmann im Interview: "Ich will, dass wir den Länderfinanzausgleich neu ordnen"

Ministerpräsident Kretschmann kritisiert das Zeitmanagement der Bundesregierung bei der Energiewende, fordert das Ende der Personaldebatte bei den Grünen und hält den derzeitigen Länderfinanzausgleich für Unsinn.

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Vor einem Jahr haben Sie nach dem Schock von Fukushima die Wahl in Baden-Württemberg gewonnen. Seither gehen die Umfragewerte der Grünen zurück. Werden Sie als einziger grüner Ministerpräsident in die Geschichte eingehen?

Ich bin nie davon ausgegangen, dass wir die Spitzenumfragewerte vom Frühjahr letzten Jahres auf Dauer komplett würden halten können. Aber wir haben seit 2010 unsere Basis verbreitern können. Darauf können wir aufbauen. Ich hatte immer das Ziel, dass grün regiert. Und eine Regierung zu führen, ist das Beste, was einer Partei widerfahren kann. Ob ich als einziger grüner Ministerpräsident in die Geschichte eingehen werde, das kann nur die Geschichte beantworten.

Sie haben der Kanzlerin Respekt gezollt für den Atomausstieg. Droht nun eine Verlängerung der Laufzeiten, wenn die Energiewende nicht Fahrt aufnimmt?

Das müssen wir unbedingt verhindern. Ich habe mich damals für den Konsens zum Ausstieg ausgesprochen, damit wir uns gemeinsam auf die Energiewende stürzen können. Aber die Bundesregierung kommt nicht in die Puschen. Der Bund verplempert kostbare Zeit, beim Ausbau der Netze, der Speicher, bei Forschung und Energieeffizienz. Die Kanzlerin muss die Energiewende zur Chefsache machen. Als erstes sollte sie alle Zuständigkeiten in einem Ressort bündeln. Die Energiewende darf nicht in Streitigkeiten zwischen den Ministerien zerbröseln.

Die Kanzlerin wirft den Ländern vor, sie seien bei der Planung des Netzausbaus nicht verlässlich und stimmten sich nicht genügend ab. Nehmen Sie die Kritik an?

In keiner Weise. Nicht die Länder blockieren, sondern der Bund. Der Bund ist für den Netzausbau zuständig, organisiert diesen aber nicht. Statt sich zu beklagen, sollte die Bundeskanzlerin eine Task Force mit den Ländern einrichten.

Kommen wir zu den Grünen und der Debatte über die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013. Die Partei will anders als Sie keine Solokandidatur. Eine verschenkte Chance im Wahlkampf?

Für die Grünen hat es sich schon mehrfach ausgezahlt, einzelne Spitzenkandidaten ins Rennen zu schicken. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein könnte dieses Modell bald wieder erfolgreich sein. Natürlich können wir auch mit Doppelspitzen Wahlen gewinnen. Eines muss aber allen klar sein: Die Grünen gefährden ihre Wahlchancen, wenn wir nicht schnellstens die Personaldiskussion beenden.

Was halten Sie von der Idee einer Urwahl?

Ich halte von einer Urwahl nichts, sie wird keine Wählerin und keinen Wähler von uns überzeugen. Wir sollten schnell zu einer Lösung kommen und uns dann wieder auf das Entscheidende, die Inhalte konzentrieren.

Sollten sich in einer Doppelspitze beide Parteiflügel wiederfinden?

Einen wirklich erkennbaren Führungsstreit gibt es bei uns derzeit nicht. Entscheidend ist, mit welcher Besetzung wir Wahlen gewinnen. Das ist der Maßstab und nicht irgendeine Flügelarithmetik.

Heißt das, Sie könnten auch mit dem Duo aus den beiden Parteilinken Jürgen Trittin und Claudia Roth leben?

Wie bitte? Ich werde mich jetzt nicht zu Personalfragen äußern.

Sollen die potenziellen Spitzenkandidaten unter sich ausmachen, wer antritt, oder wollen Sie auch mitreden?

Da rede ich selbstverständlich mit.

"Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit, um bestimmte Ziele zu erreichen"

Renate Künast wurde am Wochenende von ihrem Berliner Landesverband abgestraft. Ist sie damit verbrannt für Führungspositionen im Bund?

Nein. Über die Führungsqualitäten von Renate Künast entscheidet doch kein Denkzettel im Landesverband Berlin! Sie macht einen guten Job als Fraktionsvorsitzende und war eine profilierte und durchsetzungsfähige Verbraucherministerin.

Warum redet Ihre Partei immer noch so emotional über schwarz-grüne Optionen?

Das würde mich auch mal interessieren. Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit, um bestimmte Ziele zu erreichen. Im Bund wollen wir die schwarz-gelbe Regierung durch Rot-Grün ablösen. Für den Fall, dass sich das so nicht ergibt, sollte man andere Optionen nicht von vornherein ausschließen. So nüchtern sollte man da rangehen. Das Wichtigste ist, dass wir den Wählerinnen und Wählern ein eigenständiges grünes Angebot machen. Erst wenn die Bundestagswahl wirklich näher rückt, sollte man in der Koalitionsfrage konkreter werden – nicht eineinhalb Jahre davor.

Sie wollen an den Finanzausgleich ran. Als Zeitung aus Berlin fragen wir: Warum wollen Sie unseren Lesern Geld wegnehmen?

Das ist doch Quatsch. Ich will, dass wir den Länderfinanzausgleich und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu ordnen. Wir brauchen ein transparentes und faires System. Das jetzige System macht keinen Sinn: Wer sich anstrengt, wird nicht belohnt. Wenn Baden-Württemberg mehr Steuern einnimmt, müssen wir das meiste davon abgeben. Nimmt Berlin mehr ein, kriegt es weniger Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Es kann doch niemand Interesse an einem System haben, das so ungerecht ist.

Würde eine Kürzung der Transfers Berlin dazu bringen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und mehr Steuern einzunehmen?

Mir geht es nicht darum, Gelder zu kürzen. Es geht um eine gute politische Ordnung der Dinge. Wir müssen sehr viel stärker als jetzt Anreize schaffen, die die einzelnen Länder anspornen, ihre Einnahmen relevant zu verbessern.

Wird Baden-Württemberg zusammen mit den Geberländern Bayern und Hessen gegen den Finanzausgleich klagen?

Wenn es nicht zu Verhandlungen kommt, weil eine Seite sich konsequent weigert, werden wir klagen. Aber die Klage ist nur das allerletzte Mittel. Ich arbeite darauf hin, alle Länder an den Verhandlungstisch zu bekommen, damit wir uns noch vor der Bundestagswahl zumindest auf einen Zeitplan verständigen.

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