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Am Montag flogen die syrischen Streitkräfte einen Luftangriff auf Aleppo.

© Abdalrhman Ismail/REUTERS

Krieg in Syrien: Moskau bereitet nach US-Angaben erste Luftangriffe vor

Die Türkei beunruhigt das russische Engagement in Syrien. Auf dem Stützpunkt Latakia sollen bereits bis zu 1700 russische Marineinfanteristen stationiert sein.

Das verstärkte militärische Engagement Russlands in Syrien-Konflikt beschäftigt viele Länder in der Region und im Westen – ganz besonders laut schrillen die Alarmglocken in der Türkei. Ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, hat sich Russland als Großmacht in Nahost zurückgemeldet. Von einer „sehr gefährlichen Lage“ sprach Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, Ankara verfolge die Entwicklung mit Sorge. Präsident Recep Tayyip Erdogan will an diesem Mittwoch in Moskau mit Wladimir Putin über das Thema Syrien reden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war schon am Montag da.

Lange hatte sich Russlands Unterstützung für den syrischen Präsidenten Baschar al Assad auf das Feld der Politik konzentriert, etwa im UN-Sicherheitsrat. Doch in jüngster Zeit gefährdet eine Serie militärischer Rückschläge den Machterhalt Assads, der Moskau zu seinen wichtigsten Verbündeten zählt. Einen Sturz des Assad-Regimes will der Kreml unter allen Umständen verhindern. Putin betonte jetzt, die syrische Regierung kämpfe ums Überleben: Syrien versuche, „die eigene Staatlichkeit zu erhalten“.

Russland profitiert von der Passivität des Westens

Hinter der russischen Machtdemonstration steht ein geopolitisches Kalkül, meint Jeffrey White, ein Militärexperte an der US-Denkfabrik Washington Institute. „Offenbar ist Russland entschlossen, seinen Einfluss im Nahen Osten zur Geltung zu bringen, und Syrien bietet eine Gelegenheit dazu.“ Die russischen Kampfjets werden sich nach seiner Einschätzung nicht unbedingt auf die Verteidigung syrischer Regierungstruppen beschränken. Auch offensive Einsätze seien möglich. Das Vorgehen des Kreml basiere auf der Annahme, dass es keine nennenswerten Gegenmaßnahmen der USA und des Westens geben werde.

Putin nutzt zudem die Unschlüssigkeit westlicher Staaten. Die USA und ihre Verbündeten bekämpfen zwar die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien, scheuen aber davor zurück, gegen Assad vorzugehen, obwohl dem syrischen Präsidenten die Hauptschuld am Tod von mehr als 200.000 Menschen seit Beginn des Konfliktes in Syrien im Frühjahr 2011 gegeben wird. Der Krieg in Syrien hat zudem Millionen Flüchtlinge in die Nachbarstaaten und mehrere hunderttausend weitere nach Europa getrieben.

24 neue Kampfflugzeuge für Syrien

Den Einsatz eigener Soldaten in Syrien schließen westliche Staaten dennoch aus. Mit einer Unterstützung der Assad-Gegner hält sich der Westen ebenfalls zurück, weil er befürchtet, moderne Waffen könnten in die Hände islamistischer Extremisten geraten.

Dagegen hatte Putin in den vergangenen Wochen die Lieferung von Waffen an Assads Regierung verstärkt und zusätzliche Militärberater nach Syrien geschickt. Nach Medienberichten hat Moskau 24 zusätzliche Kampfflugzeuge auf dem Stützpunkt im nordsyrischen Latakia entsandt. Inzwischen sollen dort 28 Kampfflugzeuge und rund 20 Kampf- und Transporthubschrauber sowie Drohnen stationiert sein, berichtet die „Financial Times“. 500 russische Marineinfanteristen sollen sich ebenfalls dort befinden. Laut der russischen Zeitung „Kommersant“ sollen es sogar 1700 Spezialkräfte sein.

Der erste Einsatz russischer Kampfjets gegen den „Islamischen Staat“ und andere Rebellengruppen in Syrien steht offenbar kurz bevor. Die US-Website „Daily Beast“ meldete unter Berufung auf Regierungsvertreter in Washington, das russische Militär habe bereits Drohnen zu Aufklärungsflügen über potenziellen Angriffsgebieten für russische Kampfflugzeuge aufsteigen lassen.

Israel sorgt sich um eine Konfrontation

Während westliche Staaten vor einer Eskalation des Konflikts durch die aktivere Rolle Russlands warnen, sorgt sich Israel um eine mögliche direkte Konfrontation zwischen der eigenen Luftwaffe und den russischen Kampfflugzeugen über Syrien. Israel hatte in den vergangenen Jahren mehrmals Waffentransporte aus Syrien an die libanesische Hisbollah-Miliz angegriffen. Ministerpräsident Netanjahu reiste am Montag mit hochrangigen Militärs nach Moskau, um im Gespräch mit Putin die Gefahr eines möglichen Konflikts zwischen beiden Ländern in Syrien zu begrenzen.

Auch die Türkei sieht wichtige Interessen bedroht. So dürfte die Einrichtung der von Ankara geforderten Pufferzone in Nord-Syrien in weite Ferne rücken, wenn Russland in den Krieg beim Nachbarn eingreift: Putins Luftwaffe wird es nicht zulassen, dass Amerikaner und Türken auf syrischem Territorium ohne UN-Beschluss eine eigene „Schutzzone“ errichten. Auch könnten die von der Türkei unterstützten Regimegegner in Syrien unter russischen Beschuss geraten. Laut „Daily Beast“ gibt es Hinweise darauf, dass die Russen gemäßigte Rebellengruppen angreifen wollen, die gegen Assads Armee kämpfen.

Erdogan hatte sich geirrt

Ein Satellitenbild zeigt die Flugzeuge und Hubschrauber auf dem russischen Stützpunkt in Latakia am 20. September.
Ein Satellitenbild zeigt die Flugzeuge und Hubschrauber auf dem russischen Stützpunkt in Latakia am 20. September.

© STRATFOR GEOPOLITICAL INTELLIGEN

Noch vor wenigen Wochen hatte Erdogan nach einem Treffen mit Putin gesagt, der russische Präsident stehe nicht mehr hundertprozentig hinter Assad und werde den syrischen Verbündeten möglicherweise „fallen lassen“. Doch Erdogan täuschte sich. Angesichts des russischen Vorgehens sagte der türkische Präsident kürzlich, er sei „geschockt“. Allerdings hat die Türkei kaum Druckmittel, um auf Russland einzuwirken.

Die Entwicklung zeigt, wie sehr türkische Regionalmachtsansprüche und die harte politische Realität im Nahen Osten auseinanderklaffen. Die türkischen Träume in Syrien seien mit dem russischen Eingreifen „ins Wasser gefallen“, schrieb der Journalist Vecih Cuzdan in einem Beitrag für die regierungskritische Website Sendika.org.

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