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Wer ist Robert Bales? In den USA sucht man Erklärungen für ein Massaker.Foto: dapd

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Politik: Krieg und Fragen

Wie war der Amoklauf in Afghanistan nur möglich? Amerika ist ratlos – und hat Angst vor der Antwort.

Von Michael Schmidt

Berlin - Der Amoklauf in Afghanistan vor gut einer Woche, der 16 Zivilisten, darunter neun Kindern das Leben kostete – war es die Tat eines verwirrten Einzelnen? Oder war es das Massaker einer Gruppe von mindestens 15 betrunkenen US-Soldaten, die, wie es Gerüchte und Zeugenaussagen nahelegen, mordend durch das Dorf gezogen sind, sich über die verängstigten Menschen lustig gemacht und später die Leichen angesteckt haben sollen? Man weiß es nicht. Für Medien sind Angaben aus der Region Najib Yan, in der sich der Amoklauf zutrug, praktisch nicht überprüfbar – sie ist ohne Gefahr für Leib und Leben für Journalisten nicht zugänglich.

Unabhängig davon fragen sich die US-Bürger, was die Kriege im Irak und in Afghanistan eigentlich aus den Söhnen und Töchtern der Nation gemacht haben – wenn solche Untaten möglich sind. Amerika ist schockiert: Was könnte, mal angenommen, er war es, Robert Bales, den Ehemann und Vater zweier Kinder, zu seiner Gräueltat angetrieben haben? Irgendwie muss das doch zu erklären sein!?

Stück für Stück setzen US-Medien derzeit Leben und Militärkarriere des Mannes zusammen. Die „New York Times“ hat sich umgehört, im Umfeld des 38-Jährigen, unter Freunden und Bekannten, die ihn, den sie „unser Bobby“ nennen, als zuverlässig und hilfsbereit schildern. Unter Wegbegleitern, die beschreiben, wie der ehemalige Börsenmakler nach den Terroranschlägen im September 2001 in die Armee eintrat und später zum Scharfschützen ausgebildet wurde. Ein guter, ein echter Kamerad sei er gewesen, dreimal im Irak im Einsatz, dann in Afghanistan. Ein Kamerad erzählt sogar, er habe ihm im Irak das Leben gerettet.

Offiziell schweigen Militärs und Pentagon, doch hinter vorgehaltener Hand werden Informationen gestreut. „Am Ende wird es eine Kombination aus Stress, Alkohol und häuslichen Problemen sein – er ist einfach ausgerastet“, zitiert die „New York Times“ eine anonyme Quelle aus der Regierung. Der Anwalt des Beschuldigten bestreitet das. Auch rassistische Gründe schließt er aus. „Er hat niemals etwas Feindliches gegen Muslime gesagt.“ Der Anwalt geht vielmehr von einer posttraumatischen Belastungsstörung durch die Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan aus: Sein Mandant habe erst vor kurzem mit ansehen müssen, wie einem Kameraden von einer Mine ein Bein weggerissen worden sei, habe mehrfach Verletzungen erlitten, am Fuß und auch am Kopf.

Doch die Zeitung weiß auch anderes zu berichten: Von einem Bales, der einst eine Frau angriff, der einen Unfall verursachte, der Zurückweisungen erleben und Enttäuschungen hinnehmen musste. Zudem wurde bekannt, dass Bales 2003 von einem Schiedsgericht zur Zahlung von 1,5 Millionen Dollar (rund 1,1 Millionen Euro) verurteilt wurde. Er war des Wertpapierbetrugs schuldig gesprochen worden.

Jetzt wird die US-Militärjustiz die Anklageerhebung gegen Bales einleiten, der nach Armeeangaben am Montag im Militärgefängnis Fort Leavenworth im Bundesstaat Kansas seine Anwälte traf. Dies sei, wie es hieß, nur eine Frage von Tagen. Bei einer Verurteilung droht dem Feldwebel die Todesstrafe.

Noch heikler, noch folgenreicher als das Rätselraten um die Frage nach dem „Warum“ in Bezug auf Robert Bales könnte die Erkenntnis sein, dass es um den Mann nur am Rande geht, weil er nur ein Symptom ist, ein Einzelner, der aufs Ganze verweist: eine Nation nämlich, die seit mehr als zehn Jahren Krieg führt, die dabei buchstäblich ausblutet – und die daran zerbricht, dass sie nicht sagen kann, welchen Sinn es hat und wozu es gut ist. Michael Schmidt

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