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Politik: Krieg vor Gericht

Serben wollen von Deutschland Millionen für Bomben-Opfer

Der Nato-Einsatz im Kosovo 1999 war die erste bewaffnete Mission deutscher Soldaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit vielem wurde damals gerechnet, damit nicht: Dass sich die Bundesrepublik vor einem deutschen Gericht erstmals wegen Kriegsverbrechen verantworten muss. Am Mittwoch hat das Landgericht Bonn die Klage Angehöriger von serbischen Kriegsopfern verhandelt. Sie fordern 3,5 Millionen Euro Schadenersatz für eine Bomben-Attacke, die zehn ihrer Verwandten das Leben kostete. 17 Menschen wurden schwer verletzt. Alle waren Zivilisten. Ein Vergleich ist am Mittwoch gescheitert. Jetzt wird das Gericht in einigen Wochen sein Urteil verkünden

Die Bomben fielen am 30. Mai auf eine Brücke nahe des serbischen Städtchens Varvarin. Das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte meldete: „Heute haben Nato-Flugzeuge einen koordinierten Angriff gegen die Autobahnbrücke von Varvarin geflogen. Diese war (…) ein vorgesehenes, legitimes Ziel.“ In einem Punkt war die Meldung falsch. Autobahnen gibt es nicht in der Umgebung. Die Brücke war zudem nur einspurig befahrbar.

Die Angehörigen der Opfer bestreiten deshalb , dass es sich um ein „legitimes Ziel“ gehandelt habe. Für sie war das Bombardement ein Kriegsverbrechen, ein Verstoß gegen das Genfer Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer bewaffneter internationaler Konflikte. Und auch wenn keine deutschen Jäger den Angriff flogen: Deutschland hafte mit.

Varvarin wäre längst vergessen, hätte sich nicht der Berliner Harald Kampffmeyer der Sache angenommen. Den Kosovokrieg erachtete der frühere NVA-Offizier von Anfang an als völkerrechtswidrig. Varvarin ist für ihn das herausragendste Exempel eines kollektiven militärischen Verbrechens, das Guernica des Balkankriegs. Er gründete eine Initiative, sammelte Geld und Mitstreiter, suchte die Öffentlichkeit und bezahlte die Anwälte.

Juristisch sind seine Chancen gering. Unter Völkerrechtlern ist bis heute umstritten, ob der Kosovo-Einsatz, als „humanitäre Intervention“ ohne UN-Mandat deklariert, legal war. Die Richter müssen darüber aber nicht entscheiden. Sie können sich an der Rechtsansicht des Verteidigungsministeriums orientieren. Das beruft sich auf den Grundsatz der „Mediatisierung des Einzelnen“. Kriege, heißt es im Völkerrecht, schädigten nur Staaten. Entsprechend könnten nur sie Ersatzansprüche geltend machen. Ausnahmen sollten nur möglich sein, wenn Individualansprüche in „vertraglichen Schutzsystemen“ festgeschrieben seien. Die gebe es hier nicht.

Der Fall Varvarin ist gleichwohl juristisches Neuland. Die Justiz hat sich bisher nur mit individuellen Ansprüchen von Weltkriegsopfern befasst. In einem Urteil vom Juni 2003 wies der Bundesgerichtshof Forderungen von griechischen Angehörigen für den Überfall einer SS-Einheit auf das Dorf Distomo zurück. Der BGH verwies aber ausdrücklich darauf, dass er die Völkerrechtslage von 1944 habe zugrunde legen müssen.

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