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Krischer Journalismus: Subtile Einflussnahme

In Russlands Regionen ist kritischer Journalismus durchaus möglich – aber in engen Grenzen. Der derzeit gefährlichste Job für einen russischen Journalisten ist wohl die Mitarbeit bei der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta.

Seit dem Jahr 2000 wurden fünf Mitarbeiter des Blattes ermordet – darunter Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Doch die Journalisten der Nowaja Gaseta lassen sich nicht einschüchtern, sie berichten weiter kritisch und schreiben Geschichten, die wohl in keiner anderen Zeitung Russlands zu finden sind. Denn die Nowaja Gaseta ist ein Sonderfall – auch wenn sie keineswegs die einzige unabhängige Zeitung Russlands ist. Eine am Donnerstag veröffentlichte Studie von „Reporter ohne Grenzen“ über die Arbeit von Journalisten in den russischen Regionen zeigt, dass die russische Medienlandschaft vielfältiger ist, als im Westen gemeinhin angenommen wird.

Die Bedingungen für kritischen Journalismus seien fast überall in Russland gegeben, bei Zeitungen eher als bei Radio- und Fernsehsendern, so die Bilanz der Organisation, die in sieben Regionen des riesigen Landes recherchierte. Dabei fanden sie nur ganz wenige Fälle, in denen der Kreml direkten Einfluss auf Medien vor Ort ausübte. Wie frei eine Zeitung oder ein Sender berichten kann, hängt vielmehr vom jeweiligen Eigentümer ab: Da gibt es die Medien, die im Besitz regionaler und lokaler Verwaltungen sind und von diesen nach alter sowjetischer Tradition für Verlautbarungen genutzt werden. Andere Medien, die auf den ersten Blick oppositionell scheinen mögen, sind zwar in Privatbesitz, werden aber von den jeweiligen Eigentümern – meist Geschäftsleuten – zum Sprachrohr für ihre eigenen Interessen gemacht und als Waffe im Machtkampf gegen lokale Autoritäten eingesetzt. Schließlich gibt es aber auch politisch und wirtschaftlich unabhängige Medien, vielleicht 70 Zeitungen in Russland insgesamt, wie aus dem Bericht hervorgeht. Doch die so entstehenden Freiräume werden von den Journalisten oft nicht genutzt. Dort, wo kein direkter Einfluss von Behörden spürbar ist, setzt die Selbstzensur ein. Die Verleger wollen lieber keinen Ärger mit den lokalen Machthabern: „Wir würden gerne schärfer schreiben, aber es geht nicht“, sagt Wadim Komarow, der die unabhängige Zeitung „Klinskaja Nedelja“ in der Stadt Klin unweit von Moskau herausgibt.

Der Bericht von Reporter ohne Grenzen dokumentiert auch vereinzelte Fälle von Gewalt gegen Journalisten, doch blieben diese eher die Ausnahme. „Die staatlichen Methoden zur Unterdrückung der Pressefreiheit sind im Alltag subtiler“, urteilen die Autoren des Berichts. Unliebsamen Journalisten wird der Zugang zu Informationen verweigert. Manchen Redaktionen stattet die Polizei einen Besuch ab und beschlagnahmt alle Computer wegen der Verwendung nicht lizenzierter Software, bei anderen bemängelt die Feuerwehr einen Verstoß gegen die Brandschutzverordnung.

Und dann wäre da noch die Sache mit dem Geld: Lokale und regionale Behörden schließen sogenannte „Informationsverträge“ mit Redaktionen ab. In Klin beispielsweise vereinbarte das Bürgermeisteramt mit einem Fernsehsender, dass dieser pro Quartal 960 Minuten lang über die Tätigkeit der Behörden berichten solle und die Stadt „Empfehlungen zum Inhalt“ abgeben könne. Für die lokale Zeitung, die einen ähnlichen Vertrag hatte, schrieb die Pressesprecherin des Bürgermeisters die Artikel gleich selbst. Mit der Wirtschaftskrise wurde diese Art der „Werbung“ zu einer immer wichtigeren Einnahmequelle für Medien in den Regionen. In Perm, einer Stadt mit einer ungewöhnlich vielfältigen, vergleichsweise unabhängigen Presselandschaft, musste deshalb selbst die Regionalredaktion der angesehenen Zeitung „Kommersant“ diese „Subventionen“ annehmen. Seitdem druckt sie Verlautbarungen des Gouverneurs oder von lokalen Abgeordneten – als eine der ganz wenigen Zeitungen kennzeichnet sie diese Texte aber immerhin mit dem Hinweis „Das Wort der Macht“.

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