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War alles bloß falscher Zauber, ein Spuk und Phönix wieder in der Asche? Nach dem irren Anfangshype sinken die Beliebtheitswerte von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Krise der SPD: Wir brauchen sie noch, die Sozialdemokratie!

Sein Mantra "Soziale Gerechtigkeit" zieht nicht richtig, Martin Schulz braucht endlich ein Programm, um die Wähler zu mobilisieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. So hat die Kanzlerin beim Empfang für Frankreichs neuen jungen Präsidenten gerade Hermann Hesse zitiert. Mit ihrem charmantesten, vom jüngsten CDU-Wahlerfolg beflügelten Lächeln und der sofort geistesgegenwärtigen Mahnung, dass die Magie in der Politik ohne reale Leistung schnell ein Ende habe.

Mehr als auf Merkels Gast Emmanuel Macron, der immerhin schon eine erfolgreiche Wahlkampagne auf dem Konto hat, trifft das Hesse-Zitat freilich zu auf Martin Schulz. Schienen doch magische Kräfte im Spiel, als der SPD-Vorsitzende allein mit seiner Nominierung schon die Stimmung in seiner Partei und im Land aufblühen ließ und angesichts sagenhafter Umfragewerte die kommende Bundestagswahl plötzlich spannend zu werden versprach.

Auf ein Mal sah es, jenseits des von Beginn an leicht irren Schulz- Hypes, auch wieder aus nach demokratischer Normalität. Soll heißen, dass nach zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft eigentlich wieder ein Machtwechsel fällig wäre. Doch diese Wechselstimmung, die kurzfristig an die späte Kohl-Ära und den Aufstieg Gerhard Schröders erinnerte, ist momentan verpufft. Der vermeintliche „wind of change“ glich nur noch dem Sturm im Wasserglas.

Alles also bloß falscher Zauber, ein Spuk und Phönix wieder in der Asche? Manche Sozialdemokraten lässt der doppelte, doppelt schnelle Wechsel nun wirklich an Magie denken. Erst die rote, jetzt die schwarze. Für viele ein Rätsel, denn so dramatische (neue) Fehler haben Schulz & Genossen zumindest auf Bundesebene in den wenigen Monaten nicht gemacht. Und die Weltlage, der eher strukturkonservative deutsche Wähler und die in ihren Stärken und Schwächen altvertraute Kanzlerin („Sie kennen mich“), sie alle haben sich während Aufstieg und neuerlichem Fall der Sozialdemokratie nicht eklatant verändert.

Die SPD hat Deutschland im letzten Jahrzehnt bewegt

In extrem mobilen, labilen Zeiten hat die SPD offensichtlich ein Mobilisierungsproblem. Das Mantra Schulz und „Soziale Gerechtigkeit“ zieht nicht richtig. Keiner ist ja gegen soziale Gerechtigkeit. Zudem insinuiert das SPD-Leitmotiv einen Selbstvorwurf, so, als sei die von der SPD maßgeblich mitregierte Bundesrepublik heute halbwegs ein Unsozialstaat. Als verkörpere die längst zur Ehrensozi gewordene Kanzlerin als Kontrahentin noch immer das Gespenst des Neoliberalismus.

Dabei könnte die SPD durchaus selbstbewusst und offensiv die These vertreten: Was sich in Deutschland im letzten Jahrzehnt bewegt hat, das haben wir geleistet! Von der Abwehr einer bankengetriebenen Finanzkatastrophe (einst durch den SPD-Minister Steinbrück) bis hin zur überfälligen Durchsetzung des Mindestlohns. Selbst der allgemeine Wirtschaftsaufschwung trägt die Handschrift der SPD, weil fußend auf der Radikalreform einer „Agenda“, deren Früchte es jetzt erlauben, mit mehr Einsicht, mehr Nachsicht und mehr Geld auch ihre Härten zu korrigieren. Ohne die Agenda-Reformen, also allein noch vom Kohlschen Wohlstandsspeck zehrend, hätte Merkel auch ihre zwei historischen Spontangroßtaten, die Energiewende und 2015 die Flüchtlingshilfe, nie wagen, geschweige denn finanzieren können. Last not least: Der beste deutsche Außenminister seit Brandt und Genscher hieß Frank-Walter Steinmeier (SPD). Doch Sieger in der Großen Koalition ist immer die Merkel-Union, und es gilt: The winner takes it all.

Anders als in schlechter regierten Ländern ist hier das traditionelle Parteiensystem noch nicht am Ende. Da braucht es aus demokratiestaatlichen Gründen eine starke, auch wieder machtwechselfähige SPD: diese Partei mit der stolzesten demokratischen Tradition. In Person repräsentiert ihr Vorsitzender aber keinen jungen frischen Typ wie einst Obama, Renzi oder jetzt Macron. Er braucht für einen „wind of change“ ein Programm – das ohne soziale Kälte in eine kältere Zukunft weist. Das außer dem Thema innere Sicherheit (schon erkannt) die neuen Herausforderungen der Gesellschaft vor allem angesichts der demographischen und technologischen Entwicklung mit radikal verstärkten Bildungs- und Infrastrukturreformen beantwortet, mit der Gestaltung sich dramatisch verändernder Arbeits- und Lebenswelten. Und für ein Europa, zu dem seine vermeintlich mächtigste Politikerin längst keine Idee mehr findet, müsste Schulz endlich seine Kernkompetenz zeigen. Deutschland, eben noch so beliebt, wird beneidet und zugleich abgelehnt, weil es im europäischen Nord-Süd-Konflikt tatsächlich zu wenig tut: für mehr „soziale Gerechtigkeit“.

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