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Krise in der Ostukraine: Russland droht, den Gashahn zuzudrehen

Die Umtriebe pro-russischer Separatisten in der Ostukraine gefährden die Stabilität der gesamten Region. Wie ernst ist die Situation?

Der Ton wird härter: Die ukrainische Regierung droht den pro-russischen Separatisten, in Kürze mit Gewalt gegen sie vorzugehen, sollten sie weiterhin Verwaltungsgebäude der ukrainischen Behörden besetzen. Auf der anderen Seite erhöht Moskau den Druck auf Kiew, ausstehende Gasrechnungen zu begleichen – ansonsten werde der Gashahn zugedreht.

Können die ukrainischen Behörden in der Ostukraine überhaupt noch regieren?

Die Möglichkeiten der ukrainischen Übergangsregierung in Kiew sind sehr begrenzt: Zum einen ist die Regierung damit beschäftigt, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auszahlung internationaler Milliarden-Kredite durch den IWF und andere Finanzinstitutionen zu schaffen. Zum anderen ist der Wahlkampf um das Präsidentenamt gestartet. Im Parlament wurde schon am Dienstag klar, dass die politischen Gruppen nicht mehr an einem Strang ziehen. Zwar wurden einige Gesetze zur Bekämpfung der Korruption verabschiedet, aber in vielen anderen Fragen sind sich die politischen Lager nicht einig. Die größte politische Oppositionskraft, die früher regierende Partei der Regionen, löst sich gerade auf.

Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk arbeiten zwar zusammen, aber sie können die Lage im Osten des Landes nicht voll kontrollieren. Dort gibt es in der Bevölkerung bis in die lokalen Behörden hinein Unzufriedenheit. Viele Menschen sind mit den von Kiew angeschobenen Reformen nicht einverstanden. Frühere Regierungen hatten immer dafür gesorgt, dass Gaspreise und Kosten für kommunale Abgaben nicht steigen. Dieser an sowjetische Zeiten erinnernde Kurs hatte das Land am Ende auch in die wirtschaftliche Schieflage gebracht.

Wer sind die pro-russischen Separatisten, die die Institutionen besetzen?

Es gibt dazu keine klaren Erkenntnisse. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Anführer direkt aus Russland, vom Geheimdienst FSB, kommen. Diese Leute haben im Osten der Ukraine offenbar mit Geld Menschen angeworben, die öffentlichen Gebäude zu besetzen. In regionalen Medien wie dem Internetportal Nowosti Donbass oder dem Regional TV-Sender aus Charkiw ATN wird auch immer wieder von ehemaligen Häftlingen berichtet, die sich den Separatisten angeschlossen hätten. Der in Donezk verhaftete selbsternannte Anführer einer Russischen Republik Donezk, Pawel Gubarew, ist russischer Staatsbürger und wird rechtsradikalen Kreisen in Russland zugerechnet. Vieles deutet darauf hin, dass Russland ein Interesse daran hat, mit diesen Kräften die Lage weiter zu destabilisieren.

Welche anderen Kräfte spielen in der Region eine Rolle?

Es gibt natürlich Einflussnahme der Leute, die dort bisher politischen und wirtschaftlichen Einfluss hatten oder haben. In Donezk sind es vor allem die Oligarchen Rinat Achmetow und Sergej Taruta, der seit Anfang März Gouverneur der Region ist. Beide haben kein Interessen daran, dass die Ostukraine an Russland fällt. Sie fürchten, dass ihre Firmen dann in russische Hände übergehen. Deshalb unterstützen sie den wirtschaftlichen Crash- Kurs der jetzigen Regierung in Kiew. Sie hoffen, dass er nach Europa führt. Aus russischen Quellen stammen Gerüchte, in der Region seien Soldaten der privaten US-Militärfirma Greystone gesichtet worden. Am Mittwoch stürmten pro-russische Separatisten eine Militärakademie in Donezk, weil sie glaubten, dort hielten sich die Greystone Leute auf. Möglicherweise war das aber auch wieder eine Finte: Bei diesem Überfall wurden, wie schon bei der Belagerung des Geheimdienst-Gebäudes Anfang der Woche, Waffen und Munition erbeutet.

Russland droht der Ukraine den Gashahn abzudrehen

Wird es in der Ostukraine zu Referenden wie dem auf der Krim kommen?

In Kiew rechnen die meisten Beobachter damit, dass es in Donezk am 11. Mai zu diesem Referendum nach Vorbild der Krim kommen wird. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt. Anfang Mai gibt es im Raum der GUS-Länder eine Reihe hochrangiger Feiertage, am 1. Mai ist Tag der Arbeit, kurz danach, am 8./9. Mai wird das Ende des Zweiten Weltkrieges gefeiert. Traditionell sind in der Ukraine und in Russland Ferien. Wenn der Westen die Ukraine nicht stärker unterstützt, wird es zu diesen Abstimmungen kommen. Damit wäre der Termin für die Präsidentenwahl am 25. Mai in Gefahr. Die Mehrheit der Ostukrainer will keinen Anschluss an Russland. Viele sprechen zwar Russisch und fühlen sich der Kultur zugehörig, aber sie sind Ukrainer. Bei Rentnern ist der Wunsch stark, wieder in einer Gemeinschaft wie der UdSSR zu leben, aber das ist eine Minderheit, die Jungen lehnen das in der Mehrzahl ab.

Welche Rolle spielen die Gaslieferungen aus Russland?

Moskau droht der Ukraine – wieder mal – den Gashahn zuzudrehen. Außergewöhnliche Situationen würden außergewöhnliche Reaktionen bedingen, hieß es zur Begründung auf einer Sondersitzung der russischen Regierung,die den Beschluss am Mittwoch im Beisein von Präsident Wladimir Putin fasste. Die Ukraine soll in Vorleistung für künftige Gaslieferungen gehen. Das Land schuldet Russland für bereits erfolgte Gaslieferungen über zwei Milliarden US-Dollar. Zuvor hatte der ukrainische Energieminister Juri Prodan nach einem Treffen mit EU-Energiekommissar Günter Oettinger in Brüssel gesagt, man werde erst zahlen, wenn Moskau zu neuen Preisverhandlungen bereit sei. Anderenfalls werde die Ukraine den Transit russischer Lieferungen für Europa aussetzen. So wie Anfang 2009. Auf dem Höhepunkt des Streits mit Moskau, das von der damals prowestlichen Führung der Ukraine Wucherpreise für russische Gaslieferungen verlangte, hatte Kiew für zwei Wochen die Durchleitung russischer Exporte Richtung Westen gestoppt. Dann ließ sich die damalige Regierungschefin Julia Timoschenko von ihrem russischen Amtsbruder Putin Preise diktieren, die zwar moderater, aber nach wie vor unverhältnismäßig waren: 485 US-Dollar für tausend Kubikmeter.

Als Viktor Janukowitsch 2010 Präsident wurde, ließ er sie wegen Kompetenzüberschreitung zu sieben Jahren Haft verurteilen und handelte mit Russland Freundschaftspreise aus: 268 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Als Gegenleistung für die Verlängerung der 2017 auslaufenden Verträge für die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim um weitere 25 Jahre. Doch die sind nach dem Beitritt der Schwarzmeerhalbinsel zur Russischen Föderation gegenstandslos. Zumindest aus Sicht der Duma, des Parlaments in Moskau, das Ende März die einseitige vorfristige Kündigung beschloss. Und damit dem Staatskonzern Gasprom die Steilvorlage für die einseitige Kündigung der Rabatte lieferte.

Kiew soll nun erneut fast 500 Dollar für 1000 Kubikmeter bezahlen. Nicht nur strategische Partner Moskaus wie Weißrussland oder Armenien müssen erheblich weniger berappen, auch Europa kommt sehr viel günstiger weg. Gasprom-Sprecher Sergei Kuprianow begründete das Preisgefälle mit westlicher Beteiligung am Bau von Leitungen. Prominentestes Beispiel: Die Ostsee-Pipeline Nordstream. Seit sie 2011 ans Netz ging, hat sich die Abhängigkeit Europas vom Transit durch die Ukraine wesentlich verringert. Deren unmittelbare Nachbarn – Ungarn, Polen und die Slowakei, aber auch Österreich – hängen dagegen nach wie vor am Kiewer Tropf. Und mit diesem Pfund will die dortige Übergangsregierung wuchern, wie russische Kenner der Materie fürchten. Vor allem bei den Vierer-Verhandlungen zur Beilegung der Krise in der Ukraine, über die sich US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow bei einem Telefonat am Montag verständigten. Mit den drohenden Lieferausfällen könnte Kiew so massiv Druck ausüben, dass Europa sich gezwungen sieht, auf die härtere Gangart der USA gegenüber Russland umzuschwenken.

Unterdessen hat die Unsicherheit wegen der Ukrainekrise das Gas-Handelsvolumen an der Leipziger Energiebörse EEX kräftig ansteigen lassen. Im ersten Quartal des Jahres seien am Spot- und Terminmarkt für Gas 83,4 Terrawattstunden gehandelt worden, 180 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, sagte EEX-Vorstandschef Peter Reitz am Mittwoch in Leipzig. Marktteilnehmer wollten sich angesichts der Ukraine-Krise aus Sorge vor Unsicherheiten in der Gasversorgung stabile Preise sichern. Deutschland deckt mehr als ein Drittel seines Gasverbrauchs aus russischen Lieferungen. Etwa die Hälfte dieser Gasimporte fließen bisher durch die Ukraine.

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