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Ein Separatist sammelt auf einer von pro-russischen Kämpfern eroberten Militärbasis in Lugansk Waffen und Munition ein.

© dpa

Krise in der Ukraine: Zehntausende fliehen aus dem Osten des Landes

Immer mehr Familien kehren der umkämpften Ostukraine den Rücken. Allein aus Slowjansk sollen inzwischen 40 Prozent der Bevölkerung geflohen sein.

Viele Menschen in der Ostukraine haben sich in Keller geflüchtet. Weil es Tag und Nacht Schusswechsel und Angriffe gibt, mussten sie ihre Wohnungen verlassen. Allein aus Slowjansk sollen inzwischen 40 Prozent der Bevölkerung geflohen sein; einst lebten hier 120 000 Menschen. Aber auch der Gebietshauptstadt Donezk kehren immer mehr Familien den Rücken. Zwar sagte Bürgermeister Alexander Lukjantschenko, dass „nicht mehr als 15 000 Menschen die Region verlassen haben“, doch ob diese Zahl stimmt, scheint zumindest zweifelhaft zu sein. Beobachter schätzen, dass allein 23 000 Kinder aus der Stadt Donezk derzeit in Ferienlagern untergebracht sind – ob und wann sie zurückkommen, ist offen. Russland fordert die Einrichtung eines humanitären Hilfskorridors, um eine Versorgung der Regionen mit Lebensmitteln sowie die Flucht von Zivilisten zu ermöglichen.

Allabendlich zeigt das ukrainische Fernsehen Bilder von Flüchtlingen. Die meisten werden in Bussen aus den umkämpften Gebieten gebracht, zumeist übernehmen private Spender die Kosten. Es sollen aber auch schon Menschen zu Fuß aus der Gefahrenzone geflüchtet sein. Die Regierung in Kiew rechnet in den nächsten Wochen mit 42 000 Flüchtlingen. Wie die Vertriebenen von der von Russland annektierten Halbinsel Krim kommen auch die Ostukrainer in Sanatorien und Schulen unter. Einige wurden auch in Gebäuden der früheren Residenz von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch einquartiert.

Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR spricht von mindestens 10 000 Flüchtlingen. Es handele sich vor allem um Binnenflüchtlinge, die in den Westen oder ins Zentrum des Landes auswichen, erklärte Sprecher Adrian Edwards. Hauptfluchtgründe seien „persönliche Bedrohung“ oder „Angst vor Unsicherheit und Verfolgung“. Der führende UN-Menschenrechtsvertreter Ivan Simonovic mahnte, vor allem in der Region Donezk gehe inzwischen der Vorrat an lebenswichtigen Gütern wie Insulin und anderen Arzneimitteln aus, was viele Menschen zur Flucht treibe. Die Menschen, die trotz der Kämpfe bleiben, leben in ständiger Angst und haben Mühe, ihre Häuser vor Plünderern zu schützen. Aus Städten wie Tores oder Makejewka wird vermehrt von Diebstählen berichtet. Amateurvideos aus der Region zeigen schwerbeschädigte Gebäude, deren Fensterscheiben, Fassaden und Dächer zerschossen wurden.

Zunehmend Kritik in der Bevölkerung an Armeeoffensive

In der Bevölkerung wächst so zunehmend auch die Kritik an der Offensive der ukrainischen Armee, die auch am Mittwoch weiterging. Bei neuen Gefechten mit prorussischen Separatisten sind nach Regierungsangaben mindestens acht Soldaten verletzt worden. Zudem seien bei Kämpfen nahe Slowjansk ein Soldat getötet und 13 Sicherheitskräfte verletzt worden. Die Aufständischen werfen der Führung in Kiew vor, in Lugansk ein Verwaltungsgebäude beschossen zu haben. Dabei seien acht Zivilisten getötet und 28 verletzt worden. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück. Trotzdem geraten offenbar immer mehr Zivilisten zwischen die Fronten. Das legen Bilder nahe, die im Internet kursieren.

Bei den Auseinandersetzungen in der Ukraine wird zudem immer mehr Infrastruktur zerstört. So sprengten Unbekannte am Dienstag eine Eisenbahnbrücke in Lyssytschansk, einer Großstadt im Norden der Region Lugansk, etwa 100 Kilometer von Donezk entfernt. Solche Zerstörungen beeinträchtigen die Industrie. In dem industriellen Herzland der Ukraine stehen Schätzungen zufolge zwischen 60 bis 80 Prozent der Produktion still. (mit dpa)

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