Krise in Griechenland: Griechenland-Referendum: alles außer legitimierend!
Als Mindestvoraussetzung für eine Volksbefragung muss gelten, dass die Bürger ihre Wahloptionen verstehen können und dass der Abstimmung eine offene Debatte vorangegangen ist. Nach beiden sucht man im Falle Griechenlands vergebens. Ein Gastkommentar.
Referenden sind eine übliche Form der politischen Bürgerbeteiligung. Die Idee dahinter lautet Legitimität mithilfe einer griechischen Erfindung zu schaffen, der direkten Demokratie. Über die Vorzüge dieses Instruments lässt sich trefflich streiten; Franz-Josef Strauß verballhornte es einst mit der berühmten Formel "vox populi, vox Rindvieh." Als Mindestvoraussetzungen müssen jedoch gelten, dass die Bürger ihre Wahloptionen verstehen können und dass der Abstimmung eine offene Debatte vorangegangen ist. Nach beiden sucht man im Falle Griechenlands vergebens.
Das Referendum wird sowohl international als auch in den griechischen Medien zum Teil scharf kritisiert. Manche sehen es als verzweifelten Kartentrick marxistischer Spieltheoretiker, andere sehen keinen Sinn in einer Abstimmung über ein bereits abgelaufenes Programm, und Zyniker mögen es vielleicht als letzten Beweis griechischer Organisationsfähigkeit bezeichnen. Die demokratische Legitimität wird dem ersten griechischen Referendum seit der Volksbefragung zur Staatsform im Jahre 1974 jedoch nicht abgesprochen. Kanzlerin Angela Merkel bezeichnet es sogar ausdrücklich als "legitimes Recht der griechischen Regierung".
Wo liegt nun also der Unterschied zwischen dem griechischen Referendum und deutschen Bürgerentscheiden über unterirdische Bahnhöfe, den Referenden zu Minaretten in der Schweiz oder der EU Mitgliedschaft in Großbritannien? Zwei Hauptmerkmale: Zum einen handelt es sich bei letzteren um konkrete, klar formulierte und "meinungsfähige" Fragestellungen, und zum anderen wird Gegnern wie Befürwortern hier genügend Zeit gegeben, um ihre Argumente öffentlich auszutauschen.
Die potenziellen Auswirkungen eines Jas oder Neins sind wohl den wenigsten Griechen bewusst
Zwar wird über die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen griechischen Regierungen und den Troika-Institutionen seit nunmehr fünf Jahren eifrig berichtet, doch die potenziellen Auswirkungen eines Jas oder Neins sind wohl den wenigsten Griechen bewusst. Bei den zur Disposition stehenden Vorschlägen der Troika handelt sich um eine außergewöhnlich komplexe Gemengelage aus politischen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen. Politische Mandate prallen auf Finanzmarktrealitäten, ökonomische Denkschulen und Rechtsauslegungen. Interviews mit Bundestagsabgeordneten im Zuge vergangener Abstimmungen zu Rettungspaketen brachten teilweise große Ahnungslosigkeit über deren Inhalte zu Tage.
Nobelpreisträger debattieren die richtigen ökonomischen Maßnahmen zur Konjunkturbelebung und mögliche Verläufe eines Währungsaustritts kontrovers. Europarechtler drehen und wenden in der Abwesenheit konkreter Rechtsrahmen jeglichen Anhaltspunkt. Es stellt sich die Frage, wie man da von der griechischen Bevölkerung ein Urteil verlangen kann.
Hinzu kommt, dass den Griechen die 72-wortstarke, durchaus technische Formulierung der Wahloptionen gerade einmal eine Woche vor dem Wahltag verkündet wurde. Das lässt formell vieles zu wünschen übrig. In Großbritannien wird beispielsweise die rhetorische Neutralität einer Abstimmungsformulierung im Vorhinein mindestens drei Monate lang in Fokusgruppensitzungen überprüft. Innerhalb einer Woche kann sich außerdem kein angemessener öffentlicher Diskurs entwickeln. Kritiker werfen der Regierung vor, die möglichen Konsequenzen der Abstimmung bewusst herunterzuspielen und ihre Position als spontaner Initiator auszunutzen.
Der Vorteil im diskursiven Wettbewerb ist vielleicht sogar undemokratisch
Daraus entspringt in jedem Falle einen Vorteil im diskursiven Wettbewerb, der definitiv nicht im Sinne fairer Deliberation und somit vielleicht sogar undemokratisch ist. Paradoxerweise
könnte die kurze Entscheidungszeit dazu führen, dass sich Wahlberechtigte noch stärker an den Empfehlungen ihrer jeweiligen politischen Führung orientieren, was dem Grundgedanken eines Plebiszits widerspräche.
Die komplexen Hintergründe politischer Entscheidungen sind Ursache und Daseinsberechtigung unseres Systems repräsentativer Demokratie mit gewählten Volksvertretern. Es sind also gerade Entscheidungen wie jene, die am Sonntag dem griechischen Volk vorgelegt wird, die Politikern obliegen sollten und ihnen Verantwortung und Entscheidungskraft abverlangen.
Das Kind liegt natürlich im Brunnen. Am Sonntag wird abgestimmt. Nun gilt es zu hoffen, dass die Griechen ihrer wahrscheinlich größten Erfindung Ehre erweisen. Sich in Schadensbegrenzung übend, sollte alles daran gesetzt werden, die Bevölkerung über die möglichen Konsequenzen ihres Wahlgangs aufzuklären. Denn das Referendum mag vieles sein, aber sicherlich keine demokratische Legitimierung.
- Der Autor ist politischer Ökonom am "Department of Politics and International Relations" der University of Oxford.
Nils Röper