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Protest gegen die Hinrichtungen. In mehreren Ländern, wie hier in Pakistan, demonstrierten Schiiten gegen die Hinrichtungswelle in Saudi-Arabien, die sich gegen diese muslimische Glaubensgemeinschaft richtet. Foto: Arif Ali/AFP

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Update

Krise zwischen Saudi-Arabien und Iran: Auch Bahrain bricht diplomatische Beziehung zu Teheran ab

Der Konflikt zwischen Teheran und Riad droht die ganze Region zu destabilisieren. Nach der Massenhinrichtung in Saudi-Arabien warnt der Iran vor der „Rache Gottes“.

In der saudiarabischen Geburtsstadt des hingerichteten schiitischen Geistlichen Scheich Nimr Baker al-Nimr ist die Polizei mit Schüssen attackiert worden. Wie die amtliche Nachrichtenagentur SPA am Montag berichtete, fanden die "terroristischen" Angriffe am späten Sonntagabend in dem Dorf Awamija im Osten des Landes statt. Dabei wurde ein Zivilist getötet und ein Kind verletzt. Dem Bericht zufolge gab es unter den Polizisten keine Opfer.

Die Hinrichtung des 56-jährigen al-Nimr und 46 weiterer Terrorverdächtiger am Samstag hatte zu schweren Spannungen in der Region und zu massiver Kritik aus dem Westen geführt. Die Regierung in Riad wiederum brach die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab, nachdem Demonstranten die saudiarabische Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran gestürmt hatten. Alle iranischen Diplomaten müssten binnen 48 Stunden das Land verlassen, wie Außenminister Adel al-Dschubeir laut AFP am Sonntagabend verkündete. Auch Bahrain brach die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Das meldeten die Staatsmedien in Bahrain am Montag. Auch hier wurden die Diplomaten aufgefordert, das Land innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate zogen ihren Botschafter aus Teheran ab.

Das Außenministerium in Teheran warf der Regierung in Riad am Montag vor, die Spannungen zwischen beiden Staaten bewusst anzuheizen. Der Iran werde sich an seine internationalen Verpflichtungen zum Schutz diplomatischer Vertretungen halten, versicherte ein Sprecher des Außenministeriums in Teheran am Montag. "Aber Saudi-Arabien, das bei Spannungen aufblüht, hat diesen Zwischenfall als Vorwand benutzt, um die Spannungen weiter anzuheizen", sagte der Ministeriumssprecher.

Chamenei warnt vor "Rache Gottes"

Nach der Hinrichtung des regierungskritischen schiitischen Geistlichen Scheich Nimr Baker al Nimr in Saudi-Arabien hatte sich der Ton zwischen den Mächten der Region verschärft. Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei warnte Saudi-Arabien am Sonntag vor der „Rache Gottes“ nach der Exekution al Nimrs und 46 weiterer Männer. Iraks oberster schiitischer Geistlicher Ayatollah Ali al Sistani sprach von einer „Aggression“. In Teheran griffen Demonstranten Saudi-Arabiens Botschaft an.

„Das ungerechtfertigt vergossene Blut dieses Märtyrers wird rasche Konsequenzen haben, und die Hand Gottes wird Rache an der saudiarabischen Führung nehmen“, sagte Chamenei in Teheran. „Dieser Gelehrte ermutigte Menschen weder zu bewaffnetem Handeln, noch schmiedete er geheime Pläne: Das Einzige, was er tat, war öffentlich Kritik zu äußern.“ Irans Präsident Hassan Ruhani sprach von einem „unislamischen“ Vorgehen.

Der irakische schiitische Ayatollah al Sistani erklärte, sein Land habe in „tiefer Trauer und mit Bedauern die Nachricht vom Märtyrertod einer Gruppe von Brüdern in der Region erfahren“. Die Hinrichtung der 47 Verurteilten nannte der irakische Geistliche „eine Ungerechtigkeit und eine Aggression“.

Der 56-jährige al Nimr war ein entschiedener Gegner des erzkonservativen sunnitischen Königshauses in Riad. Er hatte während der Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 die Abspaltung der östlichen Regionen Katif und Al Ihsaa befürwortet, in denen die meisten der rund zwei Millionen Schiiten Saudi-Arabiens leben. Schon al Nimrs Festnahme im Juli 2012 hatte schwere Proteste ausgelöst. Im Oktober 2014 wurde al Nimr wegen Aufwiegelung, Ungehorsams und Waffenbesitzes zum Tode verurteilt. Hingerichtet wurde er am Samstag gemeinsam mit 46 weiteren Menschen wegen Terrorvorwürfen.

Die Wut über die Massenhinrichtung entlud sich auch auf den Straßen. In Teheran griff eine Menge am Samstagabend die saudiarabische Botschaft an und warf Brandsätze in das Gebäude. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurden 40 Menschen festgenommen, die in die Botschaft eingedrungen waren. Im iranischen Maschhad wurde das saudiarabische Konsulat angegriffen, es gab vier Festnahmen. Am Sonntag gingen in Teheran erneut mehr als tausend Demonstranten auf die Straße.

Die gesamte Region wird destabilisiert

Das saudiarabische Innenministerium kritisierte den Ton Teherans mit Bezug auf die Hinrichtungen als „aggressiv“. Das Außenministerium bestellte den iranischen Botschafter in Riad ein. Der Iran unterstütze „schamlos“ den "Terrorismus" und gefährde die regionale Stabilität. Teheran sei „das letzte Regime auf der Welt, das andere der Unterstützung des Terrorismus bezichtigen darf“, erklärte ein Außenamtssprecher.

Auch in Bahrain gab es Proteste, ebenso in der den Schiiten heiligen irakischen Stadt Kerbela. Der irakische Regierungschef Haider al Abadi erklärte, die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und friedlicher Opposition habe „Konsequenzen für die Sicherheit, Stabilität und den sozialen Zusammenhalt der Region“.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte vor einer weiteren Verschärfung der religiösen Spannungen in der Region. Auch die USA warnten vor schärferen konfessionellen Spannungen. Die UN reagierten bestürzt auf die Hinrichtungen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), äußerte sich „erschüttert“. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dazu auf, das „unerträgliche Schweigen der Bundesregierung“ zur „Brutalität in Saudi-Arabien“ zu beenden. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er: „Wirtschaftsinteressen und Rüstungsexporte dürfen nicht länger wichtiger sein als die menschenrechtliche Glaubwürdigkeit Deutschlands und der EU.“

Für den Europarat protestierte Generalsekretär Thorbjörn Jagland, er sei „außerordentlich besorgt“. Der Nahost-Beauftragte von Amnesty International, Philip Luther, erklärte, Riad rechne mit politischen Gegnern „unter dem Deckmantel des Anti-Terrorkampfs ab“. Der deutsche Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour erklärte, die Massenhinrichtungen seien „der letzte Weckruf für die Bundesregierung, die strategische Partnerschaft mit einem Staat zu beenden, dessen Praktiken sich vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) kaum unterschieden.

Nach Ansicht von Markus Kaim bedeutet die neue Eskalation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran nicht zuletzt eine „krachende Ohrfeige“ für die deutsche und europäische Politik der „Ertüchtigung“. „Das Konzept, dass man ein Land als Schlüsselpartner für Sicherheit und Stabilität in der Region aufbaut und im Gegenzug Einfluss auf diesen Partner gewinnt, ist gescheitert“, sagt der Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Es sei eine Illusion zu glauben, ein Land wie Saudi-Arabien lasse sich von außen beeinflussen. „Weder Waffen noch politische Unterstützung können daran etwas ändern.“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte für 2015 mindestens 151 Hingerichtete in Saudi-Arabien gezählt. Im Jahr 2014 waren es noch 90. Vor einem Jahr wurde König Salman aus der Wahabiten-Dynastie als neuer Herrscher inthronisiert.(AFP, Reuters, Tsp)

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