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Kurdische Veteranen wollen wieder in den Kampf ziehen.

© dpa

Krisen in Irak und Syrien: Historische Chance für die Kurden

Im Kampf gegen die Islamisten im Irak und in Syrien wird ein Stabilitätsfaktor dringend gebraucht. Ist das die Chance für die Kurden, einen eigenen Staat zu bekommen?

Schon lange träumen die Kurden von einem eigenen Staat. Jetzt könnten sie zum ersten Mal seit dem Ende des Ersten Weltkriegs einen historischen Moment erwischt haben, da sich wichtige Akteure in der Region und der internationalen Gemeinschaft für diesen Traum erwärmen. Zwischen dem Irak, Syrien und der türkischen Südgrenze kann jede Insel der Stabilität auf internationale Unterstützung hoffen. Für den Westen sind die Kurden wichtige Verbündete.

Lange Jahre traf die Forderung nach einem Kurdenstaat auf ein eisenhartes Gegenargument: Grenzveränderungen würden die ganze Weltgegend destabilisieren, Mächte wie den Iran auf den Plan rufen – und all das in einer der ölreichsten Regionen der Welt. Aber gerade dieses Stabilitätsargument arbeitet heute für und nicht gegen die Kurden.

Im Norden des Irak sind sie längst autonom

Die alte Stabilität wurde von Diktatoren wie Saddam Hussein im Irak und Hafes el Assad in Syrien garantiert. Dann entzog der erste Golfkrieg die Kurdenregion im Nordirak dem Zugriff Saddams – seit 1991 sind die Kurden mehr oder weniger autonom. Saddams Sturz vor zehn Jahren stärkte die Selbstbestimmung. Das nordirakische Kurdengebiet entwickelte sich zu einer Boom-Region, die heute einer der wichtigsten Exportmärkte der Regionalmacht Türkei ist und exzellente Beziehungen mit Ankara genießt. Vor zwei Monaten sicherten sich die Kurden die Kontrolle über die Ölstadt Kirkuk, die einen Kurdenstaat wirtschaftlich lebensfähig machen könnte.

Um sie herum bricht alles zusammen

Während die Kurden im Nordirak an ihrer Selbstregierung arbeiteten, brach um sie herum die alte Ordnung vollends zusammen. Syrien geht unter in einem blutigen Bürgerkrieg, der schon mehr als drei Jahre dauert. Der Irak droht unter dem Ansturm der radikal-sunnitischen Miliz IS auseinanderzubrechen. Diese Dschihadisten schicken sich an, im Osten des heutigen Syrien und im Westen des heutigen Irak ein „Kalifat“ zu errichten. Ein schwarzes Loch, das Extremisten aus Nahost und dem Westen anzieht und angrenzende Gegenden bedroht.

Verlässliche Partner des Westens

Aus türkischer und westlicher Sicht ist nur ein Partner geblieben: die Kurden. Sie nehmen Flüchtlinge aus IS-Gebieten auf, wachen über wichtige Ölvorräte und Pipelines, ihre Kämpfer bieten der IS die Stirn. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, lautet ein altes Sprichwort – die Kurden sind auch deshalb die Freunde des Westens, weil sie die Feinde des IS sind. Die USA und Frankreich liefern schon Waffen, Deutschland schickt nicht-militärische Hilfsgüter in die nordirakische Kurdenhauptstadt Erbil, weitere Waffen werden nach dem Beschluss der EU-Außenminister folgen.

Auch die PKK ist im Aufwind

Nicht nur der Stern der nordirakischen Kurden geht auf. Die türkischen Kurdenrebellen von der PKK haben Anteil an der Schlacht gegen den IS. Es waren PKK- Trupps und deren Verbündete aus Syrien, die in den vergangenen Tagen den Jeziden im Sindschar-Gebirge einen Korridor freikämpften, durch den sie dem IS entkommen konnten. Erstmals in ihrer Geschichte kann die PKK westliche Anerkennung erwarten. Seit Jahren wird die PKK in der Türkei und im Westen als Terrororganisation geführt, doch jetzt kämpfen die Rebellen gegen einen Todfeind des Westens, die brutalste Dschihadisten-Miliz überhaupt. Auf diese Weise trägt ausgerechnet die PKK dazu bei, zumindest einen Teil des Iraks stabil und pro-westlich zu halten, während rundherum alles in Blut und Tränen versinkt.

Waffen auch an die PKK?

Gilt der Spruch vom Feind meines Feindes auch für die PKK? Es ist nicht völlig auszuschließen, dass die PKK einige jener westlichen Waffen erhält, die jetzt an ihre Vettern, die nordirakischen Kurden, geliefert werden. Was geschieht, wenn die PKK diese Waffen in ein paar Monaten benutzt, um türkische Soldaten zu töten? Spätestens bei Ausdehnung kurdischer Unabhängigkeitsträume auf syrisches oder türkisches Staatsgebiet wäre für Ankara das Maß voll. Dann hätte die Region den nächsten Großkonflikt. Ein möglicher Kurdenstaat mag in Zeiten von IS, staatlichem Zerfall im Irak und syrischem Bürgerkrieg als Fels in der Brandung erscheinen – die Lösung aller Probleme in der Region ist er nicht.

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