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© SCANPIX/dpa

Krisenbewältigung: "Niemand will den Dialog führen"

Israel, Afghanistan, Iran, Nordkorea, Piraten in Somalia: Überall auf der Welt brodelt es, große Krisen und Kriege müssten bewältigt werden. Eine Lösung ist in naher Zukunft nicht in Sicht. Der Friedensforscher Johan Galtung über die Defizite bei der Lösung der großen internationalen Konflikte.

In der Welt der Friedensforschung wird Johan Galtung wie ein Heiliger verehrt. Der 78-jährige Norweger ist Mitbegründer des Fachs und hat in den letzten vierzig Jahren nicht nur detaillierte Theorien über Konfliktlösungen formuliert, sondern auch in mehr als 40 Konflikten in der Welt vermittelt.

Woran es dabei heute am meisten fehlt, meint Galtung, ist die Einsicht, dass jede beteiligte Partei berechtigte Interessen hat: „Es gibt zwei Kriterien für eine Konfliktlösung: Sie soll vernünftig und nachhaltig sein. Vor allem anderen aber ist Respekt für beide Seiten nötig.“ Birma, inzwischen Myanmar, hält Galtung für ein gutes Beispiel – hier gebe es überhaupt keinen Dialog der streitenden Parteien. Der Westen wolle die Demokratisierung des Landes und bringe die Menschenrechte zur Sprache. „Die Militärregierung auf der anderen Seite will den Westen völlig heraushalten. Sie hat zudem mit mehr als 20 verschiedenen Unabhängigkeitsbewegungen zu tun. Und die demokratische Bewegung von Aung San Suu Kyi hat noch kein Konzept für ein einiges Myanmar.“ Das Land müsse sein Wirtschaftssystem jetzt umbauen, möglicherweise das chinesische Modell eines Kapitalismus mit Staatsintervention einführen – das aber lehne der Westen ab. „Niemand will den Dialog führen“, sagt Galtung, der im Konflikt um die Piraterie vor der Küste Somalias ein ähnliches Problem sieht: Die EU und die Afrikanische Union hätten das Problem erkannt, es geschehe aber nichts anderes, als dass die Fischtrawler Spaniens und Dänemarks geschützt würden, die in Somalias Gewässern illegal fischten. Eigentlich, meint Galtung, müssten beide Problem gelöst werden: „Man kann hier sehen, wie der Westen übersieht, dass beide Seiten berechtigte Interessen haben. Der Westen vertritt immer zu schnell einen Standpunkt.“

Bereitschaft zum Dialog fehlt nach Galtungs Ansicht auch im gegenwärtigen Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen, der seiner Meinung nach ohnehin mehr mit Wirtschaft und Politik zu tun hat als mit Kultur und Religion. Die islamische Welt brauche Respekt vor ihrer Religion. „Auch der Streit um die Mohammed-Karikaturen in Dänemark ist so entbrannt. Das eigentliche Problem waren nicht die Karikaturen, sondern das Nein der Dänen, einen Dialog zu beginnen. Der Westen hat das nicht verstanden.“ Er selbst, sagt Galtung, habe im Februar 2006 versucht, zwischen islamischen Geistlichen und der dänischen Regierung zu vermitteln. „Nachdem die Regierung zum Gespräch eingeladen hatte, hörten die Brandstiftungen gegen dänische Einrichtungen auf. Nur hatten die Medien kein Interesse, darüber zu berichten.“

Galtung erforscht auch die Rolle der Religion und ihre Möglichkeiten als friedensfördernde Kraft in einer rasch zusammenwachsenden Welt. Er ist inzwischen überzeugt, dass jede Religion eine sanfte Seite hat – im Christentum vertreten von den Quäkern und Mennoniten, im Islam von den Sufis. „Von religiösen Konflikten zu reden, ist Unsinn. Die Leute erwarten meist nichts als Respekt für ihre Religion, genau das gilt auch für den Islam. Die sogenannten religiösen Konflikte haben in Wirklichkeit mehr mit Politik, Wirtschaft und asymmetrischen Machtverhältnissen zu tun.“

Für die Zukunft der Friedensforschung ist Galtung optimistisch. Sie sei eine Kombination von Friedenstheorie und Friedenspraxis. „Es gilt jetzt, die Theorie in die Praxis umzusetzen.“ Das sei politisch hochbrisant, denn: „Leider sind Diplomaten eher schlecht darin, Konflikte zu lösen.“

Serena Mithbaokar

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