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Wolfgang Bosbach (CDU) ist in seiner Heimat in der Flüchtlingshilfe engagiert, und er findet auch seine Kanzlerin im Prinzip großartig – nur ihre Politik eben öfter mal falsch.

© picture alliance / dpa

Kritik an der CDU-Flüchtlingspolitik: Bosbach: „Nach einem Kurswechsel hätten wir Verbündete“

CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Briefe an die Kanzlerin, Angela Merkels rheinischen Imperativ und Horst Seehofers Sorge um das Land.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Was sind das denn eigentlich für neue Sitten, dass man als Abgeordnete der Kanzlerin Briefe schreibt?
Zunächst war ja beabsichtigt, einen Antrag auf Abstimmung in der Fraktion zu stellen. Wir debattieren seit Monaten über die Flüchtlingspolitik. Sehr intensiv und erfreulicherweise zwar kontrovers, aber auch sehr sachlich. Aber seit der Kursänderung Anfang September hat es weder in der Fraktion noch im Bundestag hierüber eine Abstimmung gegeben.

Warum wäre das notwendig?
Zwingend notwendig nicht, aber ganz wesentliche Entscheidungen trifft in der Regel das Parlament. Dieser Kurswechsel beruht einzig auf einer Anordnung des Bundesinnenministers, die das geltende Recht durch die Anwendung einer Ausnahmeregelung außer Kraft setzt. Über eine Entscheidung mit solch weitreichenden Auswirkungen sollten wir Parlamentarier abstimmen können.

Das hätten Sie und Ihre Mitstreiter ja nun in der Fraktion erzwingen können.
Dagegen sind Bedenken laut geworden. Viele haben gesagt: Ich halte den Inhalt des Antrages für richtig, aber eine solche Abstimmung wäre zugleich ein Misstrauensvotum gegenüber der Bundeskanzlerin. Und da sind viele hin- und hergerissen: Großer Respekt vor Angela Merkel und ihrer politischen Arbeit, aber zugleich wachsende Zweifel, ob wir das wirklich schaffen können, was wir schaffen müssten. Deshalb wurde als Alternative der Brief gewählt.

Im CDU-Vorstand sind Ihre Mitstreiter sogar dafür hart attackiert worden.
Es ist interessant, dass man sich als Bundestagsabgeordneter im Jahr 2016 dafür rechtfertigen muss, dass man die Rückkehr zur Anwendung des geltenden Rechts fordert. Das hab’ ich mir früher so auch nicht vorgestellt.

Ist die Kanzlerin in einer ähnlichen Situation angekommen wie Gerhard „Basta“ Schröder vor seinem Abgang?
Nein. Gerhard Schröder war in seiner Partei stark umstritten, schon vor der Agenda 2010. Viele SPD-Mitglieder fühlten sich von ihm nicht mehr repräsentiert. Das ist bei Angela Merkel völlig anders, wie der Bundesparteitag in Karlsruhe deutlich gezeigt hat.

Dieser Parteitag hat Ihren Gegenantrag abgelehnt. Wieso nur sieben Wochen später ein neuer Versuch?
Weil die Entwicklung der letzten Wochen gezeigt hat, dass sich unsere Hoffnungen an Europa wohl nicht erfüllen werden. Die Bundeskanzlerin hat – verständlicherweise – darum gebeten, ihr und Europa Zeit zu geben. Sie hat darauf hingewiesen, dass es in der Gemeinschaft oft schwierig war, aber am Ende sich stets alle auf eine gute Lösung geeinigt hätten. Doch in den letzten Wochen ist die Flüchtlingspolitik selbst in den Ländern restriktiver geworden, die bisher als Bündnispartner infrage kamen. Nehmen Sie Schweden oder jetzt Österreich. Es schwenken nicht immer mehr Länder auf den Kurs Deutschlands ein, wir erleben eher das Gegenteil.

Wie lange darf es Merkel trotzdem noch versuchen?
Die Erfahrung zeigt, dass die Flüchtlingszahlen nach dem Winter, so ab Ende Februar, Anfang März wieder ansteigen. Wenn die EU bis dahin nicht eine wirksame Begrenzung durchgesetzt – und nicht nur angekündigt – hat, dann muss das der Wendepunkt sein.

Hieße das: Die Entscheidung fällt vor den Landtagswahlen am 13. März?
Ich glaube nicht, dass es vor diesen Wahlen eine grundlegende Kurskorrektur geben wird. Dann würde sofort der Vorwurf erhoben, das passiere nur aus Opportunität in der Sorge um die Wahlergebnisse.

Werden diese Landtagswahlen also zur Abstimmung über Merkels Kurs?
Na ja, wir erklären mittlerweile fast jede Wahl zur Schicksalswahl. Natürlich entscheiden die Wähler nicht nur über die Landespolitik, sondern auch mit Blick auf die bundespolitische Situation und die Flüchtlingskrise. Deshalb legt ja die AfD in den Umfragen zu. Deren Wähler glauben doch nicht ernsthaft, dass die besser als die anderen Parteien die Probleme lösen kann, sondern sie wollen den etablierten Parteien ihre Unzufriedenheit zeigen. Aber am Wahlabend wird doch wieder jeder sein Ergebnis als Bestätigung seiner jeweiligen Politik deuten.

Dann also eine Entscheidung nach dem Wahlabend?
Wenn die Zahlen nicht sinken, wird der Kurs geändert werden müssen. Wir können nicht erneut eine Million Menschen aufnehmen. Nicht, weil wir politisch die Augen vor der Not verschließen, sondern weil wir das nicht können, was wir können müssten – von schnellen Verfahren über angemessene Unterkünfte bis zu einer raschen Integration in die Gesellschaft und auf den Arbeitsmarkt.

Ist die Kanzlerin blauäugig?
Angela Merkel vertraut ganz darauf, dass sich Europa letztlich nicht verweigern wird. Wie wir hier im Rheinland sagen: „Et hätt noch immer joot jejange“, es hat noch immer geklappt. Ich gebe zu: Ihr Vertrauen hätte ich gerne. Ich bin da aber viel skeptischer.

Dann lassen Sie uns über Ihre Alternative reden. Wir schließen die Grenzen?
Nein. Ganz im Ernst: Ich bedaure es sehr, dass wir nicht nur, aber gerade beim Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland nur noch in extremen Kategorien denken. Da gibt es nur die Variante A: „Grenzen schließen, Mauer hoch, Stacheldraht, es kommt keiner mehr ins Land“, oder Variante B: Weil wir angeblich unsere Landesgrenzen nicht schützen können, müssen wir jeden einreisen lassen. Das eine wird es nie geben, und das andere kann so nicht weitergehen.

Wie soll also der Kurswechsel aussehen?
Ich will es gerne an zwei Beispielen erläutern. Fall eins: An der bayerischen Grenze steht eine Familie, Vater, Mutter, zwei Kinder, mit syrischen Ausweisen. Wir kennen die dramatische Situation in ihrem Land, wir wissen, dass sie höchstwahrscheinlich ein Bleiberecht bekommen. Keiner käme auf den Gedanken, diese Familie zurückzuweisen. Fall zwei: Vier junge Männer ohne Pass oder andere Identitätsdokumente, mutmaßlich aus den Balkanstaaten oder Nordafrika. Da wäre dann die Zurückweisung an der Grenze nicht nur möglich, sondern auch richtig. Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt und uns auf die konzentrieren, die unseren Schutz brauchen.

Aber das Dublin-System und das deutsche Asylrecht fordern doch, dass wir auch die Familie abweisen, denn auch sie reist über das sichere EU-Drittland Österreich.
Wir würden dafür die Ausnahmebestimmung nutzen, die wir derzeit unterschiedslos auf jeden anwenden, und die erwähnte Familie aus humanitären Gründen aufnehmen.

Dann stauen sich die vier jungen Männer und andere Zweifelsfälle in Österreich.
Das stimmt, es käme in kürzester Zeit zu einem Rückstau. Es würde vor allem in Italien und Griechenland große Probleme geben, weil dort die allermeisten Flüchtlinge die EU erreichen. Und dann wird man diesen Ländern mit einer europäischen Kontingentlösung helfen müssen. Der Vorteil dieses Weges läge aber darin, dass wir die Zuwanderung dann steuern und begrenzen könnten.

Wieso soll denn dann auf einmal die europäische Verteilung funktionieren?
Griechenland und Italien werden das allergrößte Interesse an dieser Verteilung haben, sobald es nicht mehr diese bloße Durchleitung, die sieht unser Recht ohnehin nicht vor, und eine freie Wahl des Zufluchtsorts in Europa gibt.

Schon, nur wieso sollen Polen, Ungarn, Frankreich oder Großbritannien den Griechen die praktische Solidarität geben, die sie Angela Merkel verweigern?
Im Moment ist Deutschland in Europa alleine. Wenn wir unsere bisherige Politik fortsetzen, werden die anderen Länder weiter sagen: Die Flüchtlinge wollen ja gar nicht bei uns bleiben, und Deutschland nimmt sie alle auf – warum sollen wir da helfen? Aber nach einem Kurswechsel wird eine Reihe von Ländern sagen: Jetzt sind wir überlastet, und jetzt brauchen wir Europas Solidarität. Wir hätten auf einmal Verbündete.

Würde Angela Merkel auf Ihren Weg einschwenken – hieße das nicht, dass sie falsch lag und gleich abdanken kann?
Diese Art von Argumentation verstehe ich wirklich nicht. Wir haben schon eine ganze Reihe von Kurskorrekturen vorgenommen. Das erste Asylpaket ist eine Kurskorrektur, das zweite Paket dient einer weiteren Kurskorrektur. Aber das alles hat nicht zu der deutlichen Reduzierung der Zuwanderung geführt, die der Bundesparteitag in Karlsruhe beschlossen hat.

Eine Kanzlerin, die nach monatelangem Sträuben klein beigeben muss – die wäre nicht gescheitert?
Es mag Leute geben, die so denken. Ich sehe das anders: Deutschland hat bis heute alles getan, was in seiner Kraft steht, um den Menschen auf der Flucht zu helfen. Aber wir sind an den Grenzen unserer Möglichkeiten angekommen. Wenn wir ehrlich sind, beruht der Satz „Wir schaffen das“ doch auf dem überwältigenden ehrenamtlichen Engagement in unserem Land. Ohne die zehntausende Helfer wäre das staatliche System längst kollabiert. Aber immer mehr dieser Freiwilligen und viele Kommunen sagen: Wir würden gerne mehr tun, aber auch wir sind am Ende unserer Möglichkeiten. Ich erlebe das täglich, und ich bin sicher, das ist nicht nur im Mikrokosmos Bergisch Gladbach so.

Und Horst Seehofer würde nicht hinterherrufen: Das habe ich doch gleich gesagt?
Nein. Es gibt da nämlich ein weithin unterschätztes Phänomen. Wir haben immer noch Politiker, die in erster Linie denken: Was ist gut für mein Land?

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