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Kritik an EU und ihre Justiz: Von der Freiheit, sich einen König zu wählen

Ingrid Müller schildert, wie Antonin Scalia, einer der bekanntesten US-Juristen und ebenso konservativ wie streitlustig, Europa und seine Justiz demontiert.

Der Mann genießt die Provokation. Der Himmel über dem Wannsee glüht fast in seinem Rücken, als Antonin Scalia in der American Academy ans Mikrofon tritt. Der untersetzte Herr mit leicht geröteten Pausbacken und Brille ist einer der bekanntesten US-Juristen, erzkonservativer beigeordneter Richter am Obersten Gerichtshof und gefürchtet für seine „verbalen Handgranaten“.

Harmlos mutet der Titel seines Vortrags „Globalisierung und das Recht“ an, doch der 73-jährige wird seinem Ruf gerecht. Rasch provoziert er die ersten Lacher im voll besetzten Saal, als er kokettierend darauf hinweist, er vertrete nicht unbedingt die Sichtweisen der Regierung. Auf knapp der Hälfte seiner Rede kommt er dann richtig in Fahrt. Er verkündet, internationales Recht sei von Natur aus weniger demokratisch als nationales Recht eines Staates, „wenn nicht undemokratisch“.

Harsche Kritik am Menschenrechtsgerichtshof

Selbst wenn durch Wahlen Souveränitätsrechte abgetreten werden, werde dadurch Demokratie reduziert; so bleibe etwa ein auf Lebenszeit gewählter König ein König. Dann holt er aus: „Die Europäische Union ist das deutlichste Beispiel dafür, wie demokratische Wahlen zu reduzierter Demokratie führen.“ Ganz schlimm ist seiner Ansicht nach die Schaffung eines Europäischen Gerichtshofs. Bei den Genfer Konventionen oder dem Kyoto-Klimaprotokoll gebe ein Staat zwar auch Rechte ab, aber durch einen solchen Vertrag sei klar, auf was man sich verpflichtet.

Anders sei dies bei der EU. Die habe zwar ein gewähltes Parlament, aber ihre Verordnungen würden von einer nicht gewählten Kommission bestimmt und von einem nicht gewählten Gericht ausgelegt und durchgesetzt. Besonders harsch fiel die Kritik des Vaters von neun Kindern am Menschenrechtsgerichtshof aus. In die Hände dieser Richter gäben die Staaten beispielsweise die Entscheidung über homosexuelle Partnerschaften, Abtreibung, Sterbehilfe, Bigamie – Themen, die nicht nur zwischen den Staaten umstritten seien, sondern auch innerhalb der Staaten. Zudem seien gerade dies oft Themen, mit denen Wahlen zu Hause gewonnen oder verloren würden. Scalia, der Verfechter einer historischen, am originalen Wortlaut orientierten Auslegung der Verfassung ist, verurteilte diese Praxis als „Eliminierung der Demokratie“, denn die Richter entschieden „auf keiner anderen Grundlage als ihrer eigenen Ansicht darüber, was Menschenrechte sein sollten“ – die Europäische Menschenrechtskonvention, von 47 Staaten unterzeichnet, ließ er freilich beiseite.

„Warum sind Richter Experten für diese Fragen?"

Stattdessen bezeichnete Scalia das Gericht als „gewählte Willkür, oder, wie Henry Kissinger treffend gesagt habe, eine „Diktatur der Tugendhaften“. Niemals auch würde er die Wirtschaftspolitik Richtern überlassen, weil es da viel zu diskutieren gebe. „Warum sind Richter Experten für diese Fragen? Sie haben dafür keine spezielle Qualifikation.“ Er ließ es sich auch nicht nehmen, die Moralvorstellungen der Europäer zu geißeln, die die Todesstrafe in den USA kritisierten. In Amerika gebe es dagegen mehr Meinungsfreiheit als anderswo, dort dürfe jeder sich pro Nationalsozialismus äußern, was ihn in Deutschland ins Gefängnis brächte.

Den Hinweis aus dem Publikum auf das Lissabonurteil des Bundesverfassungsgerichts, das der EU und dem Europäischen Gerichtshof Grenzen setzt, quittierte der Amerikaner mit der Bemerkung, es sei „wunderbar“, wenn Deutschland den Vorgaben aus Europa nicht gehorchen müsse. Hinweise auf UN oder Nato tat der Senior allerdings unwirsch ab, da gehe es um andere Bereiche. Gereizt reagierte Bush-Anhänger Scalia auf Fragen nach der Entscheidung über den knappen Ausgang der Präsidentenwahl zwischen George W. Bush und Al Gore. Ungewohnt leise wurde der streitbare Jurist dann beim Thema Menschenrechte in Afghanistan: In die Außenpolitik wolle er sich nicht einmischen, sagte er.

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