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Auf dem Weg nach Deutschland: Flüchtlinge aus Syrien im österreichischen Julbach nahe der deutschen Grenze.

© Armin Weigel/dpa

Kritik an Flüchtlingspolitik von Angela Merkel: "Die Kanzlerin wird sich korrigieren müssen"

Vom Koalitionspartner SPD kommt harte Kritik am Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage. Auch ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder stimmt ein.

Der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ein Umsteuern in der Flüchtlingskrise nimmt zu. Nachdem ein Landrat aus Bayern am Donnerstagabend einen ganzen Bus voller Flüchtlinge vor dem Kanzleramt abgestellt hatte, weil er fehlende Unterbringungsmöglichkeiten in seiner Region beklagt, forderte auch Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) einen Kurswechsel.

Weil stellte sich in der "Welt" zwar hinter Merkels Entscheidung vom September, die Grenzen zu öffnen. Er bezeichnete sie aber als Zwischenlösung. "Die Bundeskanzlerin wird sich im Laufe des Jahres korrigieren müssen", sagte er. Die Öffnung der Grenzen habe "fatalerweise dauerhaft zu einer Sonderrolle Deutschlands in Europa geführt". Die anderen Länder würden "mit Häme von der 'deutschen Einladung'" sprechen. Dies müsse die Bundesregierung beenden. Weil warnte, dass andernfalls Entscheidungen nötig seien, "die niemand will und die Europa schaden werden". Sollten die EU-Außengrenzen nicht gesichert werden, "erleben Binnengrenzen in Europa ein Comeback".

Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) machte der niedersächsische Regierungschef schwere Vorwürfe. "Die Menschen spüren, dass der Staat die Lage nicht im Griff hat". Weil forderte auch mehr Wohnungen für Flüchtlinge.

Indes kritisierte auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik. "Die Kapazitäten bei der Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Deutschland sind begrenzt. Alles andere ist eine Illusion", sagte Schröder dem "Handelsblatt". Den unbegrenzten Zuzug nach Deutschland bezeichnete er als Fehler. Ein Versäumnis der Union sei es auch gewesen, ein Einwanderungsgesetz zu blockieren.

Ex-Außenminister Joschka Fischer nimmt die Kanzlerin in Schutz

Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) verteidigte dagegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und ihre Regierungsführung. "Alles in allem kann ich ihr keine schlechten Noten geben", sagte Fischer in der Sendung "Im Dialog" des Senders Phoenix, die am Freitagabend ausgestrahlt wird. "Viele Kritiker machen es sich zu einfach." Die Deutschen könnten viel schlechter regiert werden. Wenn Merkel "morgen nicht mehr Kanzlerin wäre, wer sollte denn ihre Rolle in Europa übernehmen", fragte der Grünen-Politiker. Zwar könnten einige politische Beschlüsse der Regierungschefin anders akzentuiert werden. "Doch ich weiß um die Zwänge, in der eine Bundeskanzlerin ihre Entscheidungen trifft", zeigte Fischer Verständnis. Merkel habe im Sommer und Herbst 2015 gar nicht anders entscheiden können, als den Flüchtlingen die Türen zu öffnen. Die Offenheit gegenüber den Flüchtlingen habe auch positive Aspekte. "Mir wird zu viel von Überforderung geredet und zu wenig von den Chancen", sagte der Grünen-Politiker.

Zahlreiche Mitglieder der Unionsfraktion wollen Brief an Merkel schreiben

Die unionsinternen Kritiker des Flüchtlingskurses von Angela Merkel (CDU) wollen eine offene Konfrontation mit der Kanzlerin zunächst vermeiden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur werden zahlreiche Mitglieder der Unionsfraktion einen Brief unterzeichnen, in dem sie ihre Sorgen über die Entwicklung in der Flüchtlingskrise zum Ausdruck bringen. Der Inhalt soll nicht veröffentlicht werden. Das Schreiben dürfte Merkel Anfang kommender Woche erreichen. Er sei das Ergebnis gemeinsamer Überlegungen von Mitgliedern verschiedener Fraktions-Arbeitsgruppen, hieß es weiter.

Auf eine Unterschriftenaktion für einen eigenen Antrag, mit dem die Bundesregierung von der Unionsfraktion aufgefordert werden sollte, Flüchtlinge bereits an der Grenze abzuweisen, dürfte demnach zunächst verzichtet werden. Die „Bild“-Zeitung hatte berichtet, die Kritiker wollten über einen solchen Antrag bei der nächsten Fraktionssitzung am 26. Januar abstimmen lassen. Bisher hätten sich mehr als 40 der 310 Unionsabgeordneten an einer entsprechenden Unterschriftenaktion beteiligt. 56 Parlamentarier der Bundestagsfraktion gehören der CSU an, die seit Monaten für eine härtere Asylpolitik eintritt.

Der Andrang von Flüchtlingen hielt derweil trotz des Winters unvermindert an

Trotz des Winters kommen indes täglich weiter tausende Flüchtlinge in Deutschland an: Seit Jahresbeginn seien 51.395 neue Asylbewerber von den Behörden registriert worden, berichtet die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" stiegen zuletzt auch die Zahlen der Asylbewerber aus Algerien und Marokko stark an. Demnach kamen allein im Dezember fast 2300 Algerier und 3000 Marokkaner nach Deutschland. Im August seien es weniger als 1500 Algerier und Marokkaner gewesen. Im ganzen Jahr 2014 seien weniger als 4000 gekommen.

Innenminister de Maizière versicherte, dass der Zuzug spürbar reduziert werden solle. Er hob laut der Zeitung "Die Welt" dabei hervor: "Der Schutz der europäischen Außengrenzen hat zeitlich und inhaltlich Vorrang vor nationalen Lösungen." Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bekräftigte demnach bei einem Forum in Berlin, eine Million Flüchtling pro Jahr seien dauerhaft nicht zu schaffen. Laut einer aktuellen Deutschlandtrend-Umfrage der ARD bezweifelt inzwischen mehr als jeder zweite Deutsche (51 Prozent), dass Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigen kann. (AFP/dpa)

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