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Kritik an Sarrazin: „Originalton aus den 30er Jahren“

Warum sich der Zentralrat der Juden nach Sarrazins umstrittenen Äußerungen mit der Türkischen Gemeinde solidarisiert.

Berlin - „Obst und Gemüse können wir Ihnen leider nicht bieten, es war alles ausverkauft.“ Kenan Kolat, der Bundesgeschäftsführer der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD), versucht es zum Auftakt mit einem Scherz. Im kleinen Kreuzberger Konferenzraum der TGD ist es an diesem Freitag noch ein bisschen enger als sonst. Seit einer guten Woche schon ist das Interview der Literaturzeitschrift „Lettre“ auf dem Markt, in dem sich Berlins Ex-Senator Sarrazin nicht nur über Kunst, Verwaltung und Stadtplanung der Hauptstadt auslassen durfte, sondern auch über Berlins Migranten, ihre angeblich mangelhafte ökonomische Verwertbarkeit – außer im Obst- und Gemüsehandel – und ihre zu vielen Kinder. Aber es treibt die Hauptstadtmedien noch immer um. Und dass der Zentralrat der Juden sich jetzt auf einem Podium mit den „Freunden“ – das Wort fällt von beiden Seiten mehrfach – der Türkischen Gemeinde dazu äußert, setzt der Affäre ein neues Licht auf.

„Sie werden sich fragen, was ich hier mache, schließlich sind die Juden bei Sarrazin gut weggekommen.“ Auch Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats, beginnt launig. Man habe sich nicht gleich zu Wort gemeldet, „wir haben die Sensibilität für solche Fragen ja nicht gepachtet“. Jetzt gehe es aber um Solidarität mit dem Freund Kenan Kolat. Und es geht um Erinnerung, auch das Wort fällt in Kramers Rede oft: Ihm sei klar, was er sage, wenn er Sarrazin in geistiger Nähe zu NS-Größen sehe. Auch die Reaktion auf dessen „Originalton aus den 30er Jahren“ komme ihm bekannt vor: „Dass sie einige Probleme doch richtig erkannt hätten, hat man auch von den Nazis gesagt.“ Und über jüdische Intellektuelle wie Henryk M. Broder und Ralph Giordano, die Sarrazin Beifall zollten, müsse „man eigentlich nicht mehr reden“.

Kenan Kolat spricht von Verbitterung und Enttäuschung. Vor dieser Reaktion ’Endlich sagt’s mal einer’ habe er regelrecht Angst. „Mir sagt man auch: Aber Herr Kolat, es gibt doch Probleme mit den Migranten, warum darf man nicht drüber reden?“ Dabei redeten die Migrantenorganisationen darüber, und mehr noch, sie handelten. „Aber wenn wir wie jetzt einen Bildungstag organisieren, schickt der Berliner Bildungssenator nicht einmal seinen Staatssekretär.“

Auch dass Sarrazins Interview praktisch folgenlos sei, erstaune ihn. Noch sei kein Verfahren wegen Volksverhetzung eröffnet: „Was muss eigentlich noch gesagt werden, damit die Justiz einschreitet?“ Dass Sarrazins Chef, Bundesbankchef Axel Weber, ihm den Rücktritt deutlich nahegelegt habe, dafür danke man ihm allerdings herzlich; ein Schreiben an Weber, der derzeit ausgerechnet in Istanbul ist, sei unterwegs.

In der Frage des Rücktritts, meint Kramer, sei man übrigens anderer Meinung als die türkischen Freunde: Sarrazin habe doch seinerzeit erklärt, man könne von Hartz IV leben. Das solle er künftig tun – und den Rest seines Gehalts spenden.

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