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Emna Menif bei einer Demonstration im April 2012 aus Anlass des Martyrertages auf der Avenue Bourguiba im Herzen von Tunis. Sie ist eine der profilierten Bürgerrechtlerinnen des Landes.

© AFP PHOTO / FETHI BELAID

Kritik an Tunesiens neuer Regierung: "Der Kampf für die Freiheit hört nicht auf"

Die tunesische Bürgerrechtlerin Emna Menif hat die Regierungspartei Afek Tounes mit gegründet. Doch mit der Beteiligung der Islamisten an der Regierung ist sie nicht glücklich

Eigentlich müsste sich Emna Menif, Mitgründerin der sozialliberalen Partei Afek Tounes, freuen, dass ihre Partei – die mit den deutschen Liberalen zusammenarbeitet - nun an der breiten Koalitionsregierung von Regierungschef Habib Essid in Tunesien beteiligt ist. Aber die Beteiligung der gemäßigten Islamisten der Ennahda bereitet Emna Menif große Sorgen, wie sie kürzlich in Berlin – wo sie auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung Für die Freiheit weilte – in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel erklärte. Die Medizinprofessorin und ehemalige freie Journalistin hatte sich an der Universität gewerkschaftlich organisiert und nach der Revolution vom 14. Januar 2011 die sozialliberale Partei Afek Tounes mitgegründet und im November des gleichen Jahres wieder verlassen. „Ich hatte gesehen, dass konservative Islamisten überall im Land unterwegs waren und sich als Wächter der tunesischen Identität aufgespielt haben. Gleichzeitig musste ich einen großen Bruch zwischen der Mehrheit des Volkes und der politischen Klasse erkennen. Dieser Bruch war für das Scheitern der  säkularen Parteien verantwortlich“, sagt sie. Stattdessen hat sie die Bürgerbewegung Kolna Tounes („Wir sind alle Tunesier“) gegründet, deren Präsidentin sie heute ist. „Uns geht es um die Freiheit des Rechtes ohne die Religion. Das ist Privatsache.“

Emna Menif, Medizinprofessorin und ehemalige freie Journalistin, hat 2011 die sozialliberale Partei Afek Tounes mit gegründet und Ende des gleichen Jahres wieder verlassen. Sie gründete die Bürgerbewegung "Kolna Tounes" ("Wir sind alle Tunesier"), die sich darum bemüht, die Kluft zwischen der politischen Klasse und der Bevölkerung zu verringern.
Emna Menif, Medizinprofessorin und ehemalige freie Journalistin, hat 2011 die sozialliberale Partei Afek Tounes mit gegründet und Ende des gleichen Jahres wieder verlassen. Sie gründete die Bürgerbewegung "Kolna Tounes" ("Wir sind alle Tunesier"), die sich darum bemüht, die Kluft zwischen der politischen Klasse und der Bevölkerung zu verringern.

© privat

Die Beteiligung der Ennahda-Partei an der Regierung Essid hält sie nun für einen großen Fehler. Es hätte für eine säkulare Regierung ohne Ennahda gereicht - der erste Versuch des parteilosen Regierungschefs Essid, eine Minderheitsregierung unter Ausschluss der Ennahda zu bilden, sei allerdings schlecht verhandelt worden. Allein die Tatsache, dass Ennahda von 30 Prozent der Bevölkerung gewählt worden sie, sei kein hinreichender Grund, sie in eine Regierung aufzunehmen, der nun nur noch 30 Parlamentarier in der Opposition gegenüber stünden. 

„Diese Regierung hat keine programmatische Plattform und zwischen dem ersten und zweiten Versuch eine Regierung zu bilden, hat sich die Zahl der Ministerien auf 27 erhöht. Das ist zuviel für so ein kleines Land, aber die Alliierten mussten mit Posten versorgt werden.“ Angesichts der grundlegenden Reformen, die in allen Bereichen des Lebens zu erfolgen hätten, wäre es besser gewesen, wenige, aber dafür große, starke Ministerien einzurichten und zum Ausgleich bei der Neugestaltung der kommunalen Verfassung dezentral in die Breite zu gehen.

Für Emna Menif ist Religion auch in einem konservativen Land Privatsache

Erste Kabinettssitzung der demokratisch gewählten Regierung Habib Essid am 9. Februar im Regierungspalast in Tunis.
Erste Kabinettssitzung der demokratisch gewählten Regierung Habib Essid am 9. Februar im Regierungspalast in Tunis.

© REUTERS/Zoubeir Souissi

Den Einwand, dass Ennahda als zweitstärkste Partei nur einen Minister und drei Staatssekretäre stelle, lässt sie nicht gelten. „Die Unabhängigen in der Regierung sind vielleicht unabhängig von einer Partei, aber nicht von ihrer Ideologie. Ennahda hat verhindert, dass eine libertäre Feministin, die als Frauenministerin zunächst vorgesehen war, in der jetzigen Regierung einen Platz findet. Mit der Teilhabe an der Regierung bekommt Ennahda eine neue Jungfräulichkeit. Wir haben auf der Straße drei Jahre gegen Ennahda gekämpft und wir sehen sie immer noch als radikale islamistische Partei“, sagt sie voller Überzeugung.

Im August 2013 hätten sich die Vertreter von Nidaa Tounes, der stärksten Partei und Ennahda in Paris getroffen und sich arrangiert. Es sei aber ein Trugschluss, durch die Normalisierung der islamistischen Parteien die Radikalen einzudämmen. Der radikale Islam hänge mit dem moderaten zusammen, der Korpus sei gleich.

Für die liberale Bürgerrechtlerin ist Religion auch in einem im Prinzip konservativen Land wie Tunesien Privatsache. „Jeder ist ein Citoyen im öffentlichen Raum. Die Islamisten unterscheiden aber zwischen Gläubigen und Ungläubigen. In deren Augen ist der Ungläubige kein Bürger. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist etwas anderes als die Gemeinschaft der Citoyens, der Bürger.“

Die moderaten Islamisten würden die Radikalen nicht verhindern, dass habe die Beteiligung Ennahdas an der Übergangsregierung gezeigt. Sie habe die Entwicklung des Salafismus befördert und die Reise von salafistischen Kämpfern nach Syrien nicht verhindert. „Sie halten sich noch zurück, aber für sie ist die Demokratie nur der Zugang zur Macht“, sagt sie, „dann geht es nur noch um gläubig oder ungläubig“. Man habe in Tunesien ein Jahr gegen die Scharia demonstriert, um jeden Artikel der Verfassung habe die Zivilgesellschaft eine wahre Schlacht geführt, selbst im Ramadan seien zwei Millionen auf den Straßen gewesen.

"Die Menschen wollen Resultate sehen"

Als Präsidentin der Bürgerbewegung Kolna Tounes sucht Emna Menif das Gespräch mit den Bürgern im Innern des Landes. Ihr geht es vor allem um Bildung, Kultur und solidarische Arbeit für die lokale Bevölkerung.
Als Präsidentin der Bürgerbewegung Kolna Tounes sucht Emna Menif das Gespräch mit den Bürgern im Innern des Landes. Ihr geht es vor allem um Bildung, Kultur und solidarische Arbeit für die lokale Bevölkerung.

© privat

Nun müsse man den Realitäten ins Auge sehen. „Das Land muss regiert und nicht nur verwaltet werden“, sagt sie. Daher werde die Zivilgesellschaft wachsam bleiben. „Der Kampf für die Freiheit hört nicht auf. Angesichts der gut strukturierten Ennahda-Partei muss die gesamte politische Klasse reorganisiert werden. Nidaa Tounes zeigt noch keine klaren Strukturen, sie haben noch nicht einmal einen programmatischen Parteitag abgehalten.“

Ihrer Ansicht nach brauche das politische Leben auch andere Farben. „Tunesien braucht jetzt Verjüngung, Pluralität und eine Reform der Linken.“ Das sei angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen im nächsten Jahr eine große Aufgabe. „Die Menschen wollen Resultate sehen – ich fürchte, dass die Enttäuschung zunehmen wird.“

Aus der Erfahrung der großen Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse hatte Emna Menif bereits im Dezember 2011 die Bürgerbewegung Kolna Tounes  gegründet, die sich vor allem um die Menschen unter 35 Jahren kümmert, da diese sich als wichtiger Motor der Revolution aus Enttäuschung zunehmend vom politischen Prozess abwendeten. „Wir brauchen eine Art Kulturrevolution – wer sich an den Künsten beteiligt und sie versteht, wird auch den Staat ganz anders betrachten. Bei Kolna Tounes bieten wir vor allem kulturelle Projekte, solidarische Wirtschaft und Bildungsprojekte an“, sagt Menif. „Wir versuchen gerade in den konservativen Gebieten des Südens jungen Menschen über Kultur Werte zu vermitteln. Teilhabe an Kultur etabliert trotz aller Unterscheide neue Regeln des Zusammenlebens“, sagt sie.

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