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Politik: Kudamm-Shuttle

Zunächst deutete nichts auf ein historisches Datum. Ich war schon vom Rathaus in Schöneberg zum 13.

Zunächst deutete nichts auf ein historisches Datum. Ich war schon vom Rathaus in Schöneberg zum 13. Geburtstag meiner Tochter nach Hause gefahren. Mit dem Pressesprecher wurde telefonisch nach ersten unklaren Verlautbarungen der SED über neue Entscheidungen zum Reiseverkehr die Sprachregelung über die von Journalisten erbetene Stellungnahme verabredet: „Wieder ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend“. Die SEDFührung traf in diesen Tagen immer Entscheidungen, die von der Entwicklung bereits überholt waren. Dann wurde ich zum SFB gerufen, die Nachrichtenlage war unklar, der damalige „Regierende“ Momper hielt sich vor den SFB-Mikrofonen zurück und verschwand dann plötzlich ohne nähere Erläuterung. Was hatte Schabowski wirklich gesagt? Was hatte er gemeint? Wollte die SED wirklich die Grenze sofort öffnen? Kaum zu glauben! Dann das „noch“ Gerücht, die Ostberliner strömten in Scharen zu den Grenzübergängen.

Klarheit gab es für mich in diesen ersten Abendstunden nur durch die Fahrt an die Mauer. In meinem Golf fuhr ich zur Invalidenstraße. Die ersten Trabbis kamen mir schon entgegen. Begeisterte, aufgeregte, erstaunte Menschen sammelten sich an der Mauer und am Grenzübergang. Ich parkte meinen Golf irgendwo an der Straße und lief mit anderen Berlinern durch den Übergang, vorbei an verunsicherten und verschreckten „Grenzern“ auf die andere Seite der Mauer. Ohne Kontrolle. Ich wollte es ausprobieren. Nach ein paar hundert Metern in der „Hauptstadt der DDR“ ließ ich mich durch die Menge der Ostberliner wieder durch den Übergang gen Westen schwemmen. Mich hatten Ostberliner als den früheren „Regierenden“ erkannt. Jetzt wollten sie mal schnell zum Kudamm und zurück. Ich weiß nicht, wie oft ich verkehrswidrig überbesetzt die Tour Kudamm – Invalidenstraße gefahren bin. In der City West wurde Sekt angeboten. Es war „irre“. Ich war erst in den Morgenstunden wieder zu Hause. Meine Tochter macht mir noch heute den Vorwurf: „Warum hast Du mich nicht aus dem Bett geholt?“ Sie hat Recht. Sie hätte so gern auf der Mauer getanzt.Fotos: Ullstein, Mike Wolff

Eberhard Diepgen war 1989 CDU-Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus. Er ist heute Rechtsanwalt in Berlin.

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