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Politik: Kühler Kopf, heißes Herz

Von Peter von Becker

Die Entführung der Archäologin Susanne Osthoff ist der erste Terrorfall im Irak, der Deutschland direkt trifft. Doch das eben noch jähe Erschrecken scheint nach wenigen Tagen bereits einer sonderbar abgeklärten Haltung gewichen zu sein. Es gibt bei uns bisher keine große öffentliche Aufwallung, keine massiven Demonstrationen des Mitgefühls oder des Protestes. Ganz anders als etwa in Frankreich und Italien nach dem Kidnapping der Journalistinnen Flaurence Aubenas und Giuliana Sgrena. Kein Vergleich auch mit unserer Erregung einst bei den Entführungen der RAF in den 70er Jahren. Ist das ein Zeichen schwindender Anteilnahme? Muss diese äußere Ruhe für die Angehörigen von Susanne Osthoff, die sich soeben mit einem ergreifenden Video-Appell an die Entführer gewandt haben, als Zurückweisung verstanden werden – oder drückt diese Unaufgeregtheit statt Verzweiflung nicht eher Hoffnung aus?

Natürlich spielt in unserem Bewusstsein bei allem, was im Irak geschieht, noch ein Gefühl der Ferne und eines undurchschaubaren Grauens ohne deutsche Beteiligung, ohne direkte Mitverantwortung eine Rolle. Dennoch wissen wir: Der neue Terror ist global, auch wenn es in Deutschland noch keine Anschläge wie in Madrid und London gab. Die Hölle des Irak, eine Folge fürchterlicher Diktatur und fragwürdiger Befreiung, ist zudem längst ein Kriegsschauplatz, auf dem sich politisch, ökonomisch und kulturell für die Welt weit mehr entscheidet als nur die Zukunft eines Ölwüstenstaats oder die Bewertung eines umstrittenen US-Präsidenten.

Darum geht uns an, was im Irak geschieht. Gerade jetzt. Aber so erschreckend das Bild der gefangenen, gedemütigten Frau und ihres irakischen Fahrers erscheint, so ermutigend ist bislang doch die Bedachtheit aller Betroffenen. Heftiger öffentlicher Protest hätte bei der selbst von sunnitischen Predigern verurteilten Tat kaum einen konkreten Adressaten. Ausgenommen eine entgleisende, weil mit der Tötung des Opfers spekulierende Schlagzeile der „Bild-Zeitung“, haben die Medien Zurückhaltung gezeigt, ohne ihre Informationspflicht zu verletzen. Es reichte beispielsweise, das Standbild der Entführten und nicht das ganze popanzhafte Video ihrer Peiniger zur Schau zu stellen. Wichtig und richtig ist überdies jede Verurteilung des terroristischen Missbrauchs der Religion durch die deutschen islamischen Gemeinden. Statt sonst nur üblicher Proteste wäre freilich auch einmal eine Demonstration aller Konfessionen und Bevölkerungsgruppen denkbar, die schlicht ihre Solidarität mit der Entführten und anderen Opfern des Terrors ausdrücken würde.

Falsch und feige wirkt dagegen, wenn manche jetzt raunen, dass Susanne Osthoff vor der Reise gewarnt worden sei, dass sie als Muslimin und Irak-Kennerin irgendwie „selber schuld“ sei, nach dem Motto: Wer sich in Gefahr begibt … Diese Argumentation gleicht einer Kapitulation gegenüber der schieren Gewalt, sie wäre eine Abkehr auch gegenüber jedem zivilen Engagement in Krisengebieten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat dem bequemen Ressentiment darum mit Recht widersprochen. Im Übrigen erweckt die neue Bundesregierung mit ihrer neuen Sachlichkeit mindestens hier, wo es um Leben und Tod geht, durchaus Vertrauen. Auch das besänftigt die öffentlichen Emotionen. Aber ein kühler Kopf bedeutet noch kein kaltes Herz.

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