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Politik: Künasts Agrarwende: Pfiffe fürs Mitgefühl

Endlich spielt das Jugendblasorchester wieder. Es übertönt zwar nur wenig die Pfiffe und Buhrufe, aber die Musik löst ein wenig die Spannung im großen Saal der Halle Münsterland.

Endlich spielt das Jugendblasorchester wieder. Es übertönt zwar nur wenig die Pfiffe und Buhrufe, aber die Musik löst ein wenig die Spannung im großen Saal der Halle Münsterland. Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast und Bärbel Höhn, Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, sind auf die Bühne gestiegen und sollen zwischen den Funktionären des Deutschen Bauernverbands sitzen. Die Leibwächter haben vorsichtshalber Regenschirme gegen fliegende Agrarprodukte mitgebracht, die sie aber nicht brauchen. "Ich verstehe die Sorgen der Landwirte", sagt Künast später in ihrer Rede und erntet lautstarken Protest. Sie versucht, mitfühlend zu sein, und spricht von den schlaflosen Nächten der Bauern in der BSE-Krise, der quälenden Angst der Landwirte vor der danach hereinbrechenden Maul- und Klauenseuche. Künast versucht dasselbe, was am Tag zuvor CDU-Chefin Angela Merkel bei den Bauern erfolgreich geschafft hat: Die wunde Seele der Bauern zu streicheln.

Aber die Bauern wollen nicht von der Städterin, der Grünen im Anzug, massiert werden, sie wollen protestieren. "Raus, raus", brüllt ein alter Mann dann nach zehn Minuten, und der letzte Damm bäuerlichen Anstands scheint gebrochen. Bauernpräsident Gerhard Sonnleitner versucht den brüllenden Teil der rund 5000 Bauern zu beruhigen. "Wir müssen doch auch zuhören", beschwört Sonnleitner. Dann kann Künast den Landwirten doch noch sagen, dass Tiermehl nie wieder in den Trog kommen wird und genmanipulierte Früchte nicht auf einen deutschen Acker gehören. Dann können auch endlich mal die Bauern ihren Beifall für die grüne Landwirtschaftsministerin bringen, die nicht alle ihre Ideen für eine andere Agrarpolitik so schlecht finden.

Aber viele buhen. "Die hat doch keine Ahnung", sagt Franz-Josef Bicking, Bullenzüchter aus dem Münsterland und eifriger Gröhler im Saal. "Keine Fachkompetenz", assistiert Schweinezüchter Markus Everwand. Ihnen fehlt das entscheidende Wort "Wettbewerb" in Künasts Rede, schließlich geht es um ihre wirtschaftliche Existenz und Zukunft. Öko funktioniere eben nicht, sagt Bicking, dafür gebe es keinen Markt, und die Verbraucher wollten nicht mehr Geld für den Rinderrollbraten oder das Schnitzel zahlen. Denn bereits jetzt verdienen er und seine Kollegen kaum etwas am Schlachtfleisch, obwohl die Preise an der Ladentheke gestiegen sind. Wenn auch die Verbraucher tiefer in die Tasche langen müssen, landet das Geld nicht bei den Bauern, sondern bei den Händlern, Schlachtern und der Nahrungsmittelindustrie.

"Der Markt bestimmt die Ausgestaltung der Landwirtschaft", sagt Dirk Detlefsen, Agrarökonom und Vorsitzender der Deutschen Landjugend. Wenn die Verbraucher im großen Stil bereit seien, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, dann stelle sich auch die Mehrzahl der Bauern um. "Wir sind verunsichert und wir sind verletzt", sagt Detlefsen. Die Bauern fühlten sich von Künast provoziert, wenn sie die konventionelle Landwirtschaft diffamiere und immer nur Öko, Öko, Öko sage. Dabei ist Detlefsen ebenso wie Tausende von anderen Bauern klar, dass "das jetzige Agrarmodell nicht zukunftsfähig ist". Deswegen will er mit den Jungbauern ein Szenario entwickeln, wie sie in zehn oder 20 Jahren Landwirtschaft betreiben wollen.

Solches Langfristdenken ist auch ein Grund für die Ablehnung der Ideen aus dem Landwirtschaftsministerium. Denn viele Landwirte haben gerade erst vor zehn oder 15 Jahren ihre Betriebe auf Masse optimiert und Millionen investiert. Die sind jetzt längst nicht abgeschrieben und die Kredite nicht abbezahlt. Erst in weiteren zehn oder 15 Jahren kommen diese Landwirte in eine vernünftige Gewinnspanne. "Ich will, dass Sie nicht zum Knecht auf dem eigenen Hof werden", sagt Künast den Bauern. Deswegen müssten sie aussteigen aus dem Wettbewerb mit dem niedrigsten Preis. "Damit können wir nicht gewinnen", sagt Künast, und tatsächlich wagen einige Bauern zu applaudieren. Aber sie bleiben skeptisch. Denn in ihrer Nachbarschaft werden weiter Höfe aufgegeben - mehr als je zuvor.

Ulrike Fokken

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