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© epa

Kundus-Ausschuss: Angriff und Verteidigung

Oberst Klein hat zu den Bomben von Kundus Auskunft gegeben. Wissen die Parlamentarier jetzt mehr?

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Einmal in diesen fast sechs Stunden vor dem Untersuchungsausschuss hat Oberst Georg Klein durchgeatmet. „Hätte ich geahnt, dass Kinder vor Ort sind, hätte ich den Angriff nicht befohlen“, sagt der Mann, dessen Name zum Synonym für den Krieg der Bundeswehr in Afghanistan geworden ist. „Ich habe Gott um Beistand und Vergebung gebeten. Ich trauere um die Menschen.“ Klein schaut auf den Tisch vor sich. Der Mann, sagen Teilnehmer der Geheimsitzung im Reichstag, habe absolut glaubwürdig gewirkt.

Dies umso mehr, als der ehemalige Kommandeur des Feldlagers Kundus sich nicht vor seiner Verantwortung dafür gedrückt habe, dass er am 4. September 2009 kurz vor zwei Uhr morgens die Bombardierung zweier Tanklastzüge angeordnet hat. Die Fahrzeuge waren von den Taliban entführt worden und auf einer Sandbank im Kundus-Fluss stecken geblieben. Kleins Entscheidung kostete bis zu 142 Afghanen das Leben, auch Zivilisten. Das Bombardement zerstörte zugleich die Illusion vieler Deutscher, die Bundeswehr könne sich in Afghanistan auf den Bau von Brunnen und Schulen beschränken und das Töten anderen Nationen überlassen.

Was wird Oberst Klein vorgeworfen?

Das Bombardement hat die Einsatzregeln der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) verletzt. Kleins Fliegerleitfeldwebel, Codename „Red Baron“, hat im Funkverkehr mit den US-Kampfbombern behauptet, der Angriff sei notwendig, um Allianztruppen im Gefecht zu entlasten. Diese „Troops in Contact“-(TIC)-Meldung war eine glatte Lüge. Wer auf den Trick gekommen ist, war den Abgeordneten nach der insgesamt sechsstündigen Vernehmung – allein eineinhalb Stunden lang hat Klein eingangs seine Sicht geschildert – eher noch unklarer als vorher. Klein habe geschildert, dass er sich mit Anwesenden im Gefechtsstand „beraten“ habe. Der Regelverstoß hat den Isaf-Oberbefehlshaber, US-General Stanley McChrystal, vor allem deshalb aufgeregt, weil er zugleich ein Verstoß gegen seine neue Strategie war. In der hat der Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung oberste Priorität. Auch dass Klein nach dem Bombardement nicht sofort ein Team an den Schauplatz schickte, war ein Regelverstoß. Welche und wie viele Menschen starben, wird auch wegen dieses Versäumnisses wohl nie endgültig geklärt.

Klein wird zudem vorgehalten, dass er den Angriffsbefehl ohne Rücksprache mit dem Isaf-Hauptquartier und dem deutschen Chef des Regionalkommandos Nord in Masar-i-Scharif, Brigadegeneral Jörg Vollmer, gab. Der Oberst machte aber im Bundestags-Untersuchungsausschuss geltend, dass derlei Rücksprache auch nichts an seiner letztlichen Verantwortung geändert hätte. „Ich war der taktische Führer vor Ort“, zitieren ihn Teilnehmer. „Niemand hatte ein besseres Lagebild.“

Wie hat er das Bombardement vor dem Ausschuss verteidigt?

Die Darstellung des Obersten entsprach dem, was er in früheren Vernehmungen der Isaf schon geschildert hatte. Klein machte klar, dass es ihm an erster Stelle darum gegangen sei, Gefahr von seinen Soldaten abzuwenden. Es habe konkrete Warnungen davor gegeben, dass Taliban mithilfe von Lastwagen einen Sprengstoffanschlag auf das deutsche Feldlager geplant hätten. Er habe überdies aufgrund der Angaben eines afghanischen Spions davon ausgehen können, dass an den entführten Lastwagen nur Aufständische gewesen seien, darunter ranghohe Taliban. Dass die US-Piloten am Sinn des Bombardements zweifelten und fünf Mal nachfragten, ob sie ihre tödliche Fracht wirklich ausklinken sollten, hat er offenbar gar nicht mitgekriegt; diese Dialoge habe „Red Baron“ geführt.

Welche Rolle spielte die Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK)?

Klein versicherte, er habe die Entscheidung autark getroffen. Allerdings führte er die Operation vom Gefechtsstand der „Task Force 47“ im Feldlager aus – weil dieser technisch besser ausgestattet ist. Bei der „Task Force 47“ handelt es sich um einen von der KSK geführten Verband, in dem Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) sowie Führungsoffiziere afghanischer Informanten zusammenarbeiten. Nach einem Bericht des „Stern“ besteht die Aufgabe der „Task Force 47“ auch darin, Taliban-Führer aufzuspüren und auszuschalten. Die Geheimtruppe habe Klein offenbar dazu benutzt, ohne Rücksicht auf Verluste Taliban-Kommandeure zu töten.

Klein bestritt, dass er von der KSK gedrängt worden sei. Ausschussmitglieder gewannen aber den Eindruck, dass der damalige Kommandeur in Kundus keinen Überblick über die Aufgaben und Aktivitäten der Elitetruppe hatte, auch wenn er nach eigener Aussage etwa einmal pro Woche ihre Technik und Hilfe nutzte. In der entscheidenden Nacht waren im Kommandostand aber Männer anwesend, von denen Klein weder wusste, wer sie waren noch für wen sie arbeiteten. Das verblüffte auch Abgeordnete. Offenbar ist ihre Zeugenliste unvollständig.


Wie bewerten die Parlamentarier Kleins Aussage?

In einem waren sich alle Obleute des Ausschusses nach Kleins Aussage einig: Der Oberst verdiene Respekt für seinen Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht und seine Bereitschaft, alle Fragen so klar wie möglich zu beantworten. Vertreter aller Parteien nahmen ihm auch ab, dass er in der Nacht nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln glaubte. Die Opposition will nun vor allem die Rolle der KSK genauer unter die Lupe nehmen.

Welche Konsequenzen drohen ihm?

Gegenwärtig ist Klein Chef des Stabes der 13. Panzergrenadierdivision in Leipzig. Ob gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet wird, prüft die Bundesanwaltschaft. Ein Disziplinarverfahren wegen Verstoß gegen Isaf-Regeln hat das Verteidigungsministerium nicht eingeleitet.

Was bedeutet Kleins Aussage für den Verteidigungsminister?

Karl-Theodor zu Guttenberg hat das Bombardement erst als angemessen bewertet und sich dann in ein „militärisch nicht angemessen“ korrigiert. Klein hat deutlich gemacht, dass er – aus seiner damaligen Sicht und Kenntnis – sich im Recht sah. Beides steht nicht unbedingt im Widerspruch zueinander. Trotzdem wird Guttenberg erklären müssen, wie sein Sinneswandel zustande kam. Der Minister hat dafür auch ins Feld geführt, dass Kleins frühzeitige Meldung eine Rolle spielte, er habe Lastwagen und Taliban „vernichten“ wollen. Aber dieses Wort, hat Klein dem Ausschuss versichert, sei in der Militärfachsprache gang und gäbe.

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